Fußballkarriere auch nach Stammzelltherapie


Lucas Melchner ist auf dem Weg zum Profifußballer. Auch eine Bluterkrankung und eine zweimalige Stammzelltherapie am Uniklinikum Würzburg waren für den 15-Jährigen kein Grund, von diesem Ziel abzuweichen.

Die Familie Melchner aus Königstein im Landkreis Amberg-Sulzbach ist fußballverrückt. Der ehemalige bayerische Landesligaspieler Manfred Melchner nahm seine Söhne, die Zwillingsbrüder Daniel und Lucas, schon im Alter von drei Monaten mit auf den Platz. Die Begeisterung sprang über: Seit ihrem vierten Lebensjahr sind sie enthusiastische Kicker. Mit so viel Talent und Willen, dass bei beiden eine Profikarriere möglich erscheint. Jetzt wurden die Brüder für das Nachwuchsleistungszentrum der Spielvereinigung Greuther Fürth ausgewählt.
Um an diesen Punkt zu gelangen, musste Lucas allerdings in den letzten Jahren schon zwei massive gesundheitliche Krisen mit viel persönlichem Kampfeswillen, der Unterstützung seiner Familie und der medizinischen Versorgung des Uniklinikums Würzburgs (UKW) überwinden.

Diagnose: Myelodysplastisches Syndrom
Ende 2009, Lucas war damals in der dritten Klasse, entdeckte seine Mutter an seinen Oberschenkeln und Schultern viele stecknadelkopfgroße Hauteinblutungen. Eine Überprüfung durch die Kinderärztin der Familie zeigte, dass mit Lucas‘ Blutwerten etwas massiv nicht stimmte. Im heimatnahen Krankenhaus, der Cnopf’schen Kinderklinik in Nürnberg, kamen die Ärzte schnell auf die richtige Diagnose: Myelodysplastisches Syndrom, kurz MDS. Der Begriff umfasst eine Reihe von Erkrankungen des Knochenmarks, bei denen zu wenig funktionstüchtige Blutzellen gebildet werden. Bezeichnend für das MDS ist ein Mangel an normalen roten Blutkörperchen (Erythrozyten), bestimmten weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) im Blut. Während bei gesunden Menschen diese drei Zellarten aus Blutstammzellen im Knochenmark gebildet werden, ist bei MDS der Prozess der Blutbildung gestört: Die Stammzellen reifen nicht vollständig aus, reife Blutzellen sind funktionsunfähig oder werden nur in zu geringer Zahl gebildet. Zudem besteht das Risiko, dass die Krankheit in eine akute Leukämie übergeht. Mit jährlich vier bis fünf Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner gehört das MDS zu den häufigsten Krankheiten des Knochenmarks, auch wenn es bei Kindern glücklicherweise selten ist.

Einzige Heilungschance: Stammzelltransplantation
Die einzige Heilungschance für MDS-Patienten ist eine Stammzelltransplantation. Das nächstgelegene medizinische Zentrum, das eine solche Behandlung anbietet, war für die Melchners das Uniklinikum Erlangen. Dort war allerdings zum damaligen Zeitpunkt gerade kein Therapieplatz frei. Die Erlanger Experten rieten deshalb der Familie, das Stammzelltherapiezentrum der Würzburger Universitäts-Kinderklinik aufzusuchen.
In der von Prof. Paul-Gerhardt Schlegel geleiteten, auf Stammzelltransplantation spezialisierten Station Schatzinsel des UKW begann im Februar 2010 die Behandlung des neunjährigen Lucas. „Bei der Stammzelltransplantation ersetzen wir das erkrankte Knochenmark durch gesundes“, erläutert Privatdozent Dr. Matthias Wölfl. Laut dem Oberarzt der Station Schatzinsel müssen für eine erfolgreiche Therapie zunächst alle krankhaften Knochenmarkzellen des Patienten abgetötet werden. Dies wird durch eine Chemotherapie erreicht. „Im Gegensatz zu anderen Bluterkrankungen, wie zum Beispiel den Leukämien, denen eine langwierige Chemotherapie vorausgeht, konnte bei Lucas die Vorbereitung zur Transplantation mit einem einzigen Chemotherapie-Block abgeschlossen werden“, schildert Dr. Wölfl.

Zwillingsbruder als Stammzellspender
Als passender Stammzellspender wurde Daniel identifiziert, der froh war, seinem kranken Zwillingsbruder helfen zu können. Daniels Blutstammzellen erhielt Lucas per Infusion. Da sich keine Abwehrreaktionen der übertragenen Zellen gegen den Organismus des Empfängers oder sonstige Komplikationen zeigten, konnte Lucas schon nach wenigen Wochen das Krankenhaus wieder verlassen.
Nach einer Erholungsphase für sein Immunsystem ging er im Mai 2010 schon wieder zur Schule. Und konnte zusammen mit seinem Bruder auch weiter an seiner Fußballkarriere feilen. So holte sie im selben Jahr Reinhold Hintermaier, der ehemalige österreichische Fußball-Nationalspieler und jetzige Jugendkoordinator des 1. FC Nürnberg, von ihrem Heimatverein TSV Königstein zum SK Lauf.

Schleichende Abstoßung des Transplantats
Leider zeigte sich im Rahmen der regelmäßigen Nachuntersuchungen am UKW im Jahr 2013, dass sich Lucas‘ Blutwerte langsam, aber kontinuierlich wieder verschlechterten. „Wir nehmen an, dass es zu einer schleichenden Abstoßung des Stammzelltransplantats kam“, berichtet Dr. Wölfl. Was genau in Lucas‘ Knochenmark passierte, wie sich wann das Verhältnis von den eigenen zu den Spenderzellen veränderte, war laut dem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin nur schwer nachzuweisen, da sich die Zellen der Zwillingsbrüder genetisch zu ähnlich sind.
Nach einigem Abwägen der Risiken und Chancen entschieden sich die Melchners und die Ärzte des UKW für eine erneute Stammzelltransplantation mit einem anderen Spender. Glücklicherweise konnte über das Zentrale Knochenmarkspender-Register für die Bundesrepublik Deutschland (ZKRD) schnell eine ausreichend passende Spenderin gefunden werden.
Für Lucas war die Entscheidung zu einer weiteren Therapie nicht einfach: „Ich spielte damals schon in der Bezirksoberliga und wollte dies nur ungern unterbrechen. Außerdem wusste ich ja jetzt, welche unangenehmen Zeiten bei einer Stammzelltherapie auf mich zukommen.“
Mit Prof. Schlegel vereinbarte er, dass er an Pfingsten 2014 noch am Cordial Cup teilnimmt und erst danach zur Behandlung wieder in die Station Schatzinsel einrückt. Der Cordial Cup in den Kitzbühler Alpen ist eines der größten Fußball-Nachwuchsturniere in Europa.

Menschlich wie fachlich perfekt betreut
Die zweite Stammzelltherapie war für Lucas deutlich belastender als die erste. Zum einen waren für den 13-Jährigen die „äußerlichen Effekte“, wie der Kopfhaarverlust durch die Chemotherapie, die Hautreaktionen auf die neu transplantierten Spenderzellen und die Gewichtszunahme aufgrund der deshalb notwendigen Kortisontherapie emotional schwerer zu ertragen. Zum anderen ging es ihm phasenweise auch körperlich richtig schlecht. „Gerade in dieser Zeit war Prof. Schlegel immer für uns da und schaute mindestens dreimal täglich nach Lucas – zwischen früh um sechs und abends um zehn“, berichtet Lucas‘ Mutter Sabine Melchner. Generell bezeichnet sie die Betreuung auf der Station Schatzinsel als perfekt: „Die Ärzte und Pflegekräfte dort hatte immer ein offenes Ohr für unsere Fragen und Sorgen, bei Bedarf wurden Dinge gerne auch mehrfach erklärt und es durfte auch mal gelacht werden – kurz gesagt: Wir fühlten uns menschlich und fachlich einfach sehr gut aufgehoben.“ Auch Lucas erinnert sich dankbar daran, dass ihn beispielsweise die Krankenschwestern immer wieder aufmunterten und sich auch mal die Zeit zu einem Spiel mit ihm nahmen.
Dank der Nutzungsmöglichkeit einer klinikumsnahen, von der Elterninitiative leukämie- und tumorkranker Kinder Würzburg e.V. finanzierten Wohnung konnte Sabine Melchner während der gesamten stationären Behandlung von Anfang September bis Ende Oktober 2014 ihrem Sohn täglich zur Seite stehen.

Positive Haltung im Genesungsprozess
An den stationären Aufenthalt schloss sich die Nachsorge in der onkologischen Tagesklinik der Würzburger Universitäts-Kinderklinik an. „Die ersten 100 Tage nach einer Stammzelltransplantation sind eine kritische Zeit, in der wir die Kinder und Jugendlichen engmaschig überwachen“, sagt Matthias Wölfl und fährt fort: „Viele unserer jungen Patienten sind in dieser Zeit körperlich und psychisch angeschlagen, manche müssen schon zu kleinen körperlichen Betätigungen, wie Spazierengehen, besonders motiviert werden.“ Nicht so Lucas. „Schon am 60. Tag nach seiner Transplantation fragte er mich, wie viele Sit-ups er denn nun schon wieder machen dürfe“, schmunzelt der Oberarzt. „Das war für uns ein weiterer schöner Ausdruck für seine sehr positive Herangehensweise an seine Erkrankung und Genesung.“

Und weiter geht’s im Mittelfeld!
Mit dieser positiven Haltung, viel Disziplin und Engagement schaffte Lucas innerhalb eines halben Jahres nach der Behandlung wieder den Anschluss an den Leistungsfußball. Für die Saison 2016 erhielten er und sein Bruder mehrere Angebote von überregionalen Vereinen. Sie entschieden sich für Greuther Fürth als einen der Vereine, der noch vergleichsweise nahe zu ihrem Zuhause liegt. Was für die Gebrüder Melchner aber immer noch eine rund 70 km weite Anreise per Bahn und S-Bahn zu jedem Training bedeutet – und das viermal pro Woche. Hinzu kommen die Spiele an den Wochenenden. „Um bei unserem rund 20-köpfigen Kader in die Startelf zu kommen, muss man bei jedem Training sein Bestes geben“, unterstreicht Lucas, der seine typische Spielposition als „offensives zentrales Mittelfeld“ beschreibt.
Ans Uniklinikum Würzburg kommt er derzeit nur noch vierteljährlich, um die Zellanteile in seinem Blut messen zu lassen. Ansonsten spielt die MDS in seinem Leben keine große Rolle mehr – sein Fokus ist es, Profifußballer zu werden und ein tolles Leben zu führen.