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Heinz Schiestl


Der Bildhauer Heinz Schiestl kam am 23. Februar 1867 in Zell im Zillertal zur Welt. Er ist in Würzburg aufgewachsen, hier ausgebildet und sein Leben lang ansässig, war der älteste der drei „Schiestlbuben“; gestorben ist er als letzter , am 11. April 1940.

Matthäus, der Maler romantisch-verträumter Legenden, der „Münchner Schiestl“ (1869-1939), und Rudolf (1878-1931), Zeichner, Lithograph, Illustrator und Nürnberger Akademieprofessor, waren beide in Würzburg geboren, wo der Vater, Matthäus der Ältere, ein Bildhauer, sich 1873 für immer niedergelassen hat.

Heinz Schiestl, ging wie alle seine Brüder, in die Peterer Schule und trat danach in die Werkstatt seines Vaters ein. Um sein Wissen und Können zu vertiefen, besuchte Heinz vier Jahre lang die Zeichen- und Modellierklassen des Polytechnischen Zentralvereins in Würzburg. Später übte er sich einige Monate auf der Schmidschen Privatschule in München im Naturzeichnen und studierte im Anschluss daran zwei Semester bei Professor Eberle an der Münchener Kunstakademie.

Bei Heinz Schiestl scheint das Tiroler Erbe am sichtbarsten. Nicht nur im Humor seiner vielen Karikaturen und Postkarten oder des oft kopierten „Dukatenmännles“ im Würzburger Ratskeller; auch bei den von ihm geschnitzten Zimmervertäfelungen, in denen sich Tiroler Gotik und bayerischer Jugendstil wunderlich mischen.

Sein Wesentlichstes aber sind die Werke für fränkische Kirchen: Altäre, Kreuzwegstationen, Statuen, Kriegerdenkmäler. So der Anna-Altar, die Kanzel, das Triumphkreuz und der eindrucksvolle Kreuzweg in St. Adalbero, oder der mit seinem Bruder Matthäus zusammen geschaffene Hochaltar in St. Burkard.

Im Herbst 1896 übernahm Heinz Schiestl die Werkstatt des Vaters und stattet unter Mitwirkung von Matthäus Schiestl. d.J. den Hochaltar der Burkarduskirche im Alten Mainviertel aus. Entworfen hatte den Hochalter der Regensburger Domvikar Georg Dengler, das Altargehäuse ist von Franz Driesler aus Lohr am Main. Matthäus der Ältere und sein Sohn Heinz schnitzten die Figuren, Matthäus der Jüngere führte die Gemälde aus.

Im Jahre 1904 erhielt Heinz Schiestl den Auftrag, in der 1899 nach Plänen des Nürnberger Architekten Joseph Schmitz vollendeten neuromanischen Kirche St. Adalbero im Stadtteil Sanderau den St. Anna-Altar zu gestalten . Hier entstand ein Gemeinschaftswerk der drei Brüder Schiestl. Der Entwurf zu dem Mosaikbild stammt von Matthäus; die Engel sind Temperabilder von Rudolf; die in gelblich-weißem, französischem Kalkstein ausgeführte Figur der hl. Anna mit dem Marienkind aber ist ein Werk von Heinz Schiestl. Er entwarf das Modell und der Bildhauer Matthias Kemmer arbeitete es heraus. Man kann den Stil Schiestls wohl nirgends so gut wie hier studieren, da an keinem andern Ort so viele und so verschiedenartige Werke von ihm vereinigt sind wie in dieser Kirche. So schuf Heinz Schiestl die Reliefs mit den Kirchenvätern für die Kanzel, ein großes Abendmahlrelief und vor allem den Kreuzweg. Hier war nicht nur der Leidensweg Christ ohne jegliche Beschönigung dargestellt, die Begleiter waren auf drei oder vier reduziert, die bei aller fremden Gewandung „fränkische“ Gesichter hatten und wie bei Riemenschneider aus der Nachbarschaft gegriffen waren.

Heinz Schiestl schnitzte auch zahlreiche altdeutsche Zimmer für begüterte Würzburger, die zumeist den Flammen am 16. März 1945 zum Opfer fielen. Heute noch zugänglich ist das Schiestl-Zimmer im Würzburger Ratskeller, das er einst für das Gartenhaus des Kommerzienrates V.A. Fischer im Steinbachtal gearbeitet hatte. Seine zahlreichen originellen und witzigen Zeichnungen waren fast ausschließlich für seine Freunde bestimmt.

Die Büsten der Frankenapostel über dem Zentralheiligtum des Bistums, dem Altar der Neumünstergruft, sind Schiestlkopien nach den – verbrannten – Riemenschneider-Originalen. Bei der ansehnlichen Kreuzigungsgruppe über dem Altar der Deutschhauskirche, frei nach Riemenschneider, zeigt sich in den empfindungsbestimmten Abweichungen vom Stil des Meisters Tilman besonders deutlich, dass Heinz Schiestl mehr war als ein Nachahmer vergangener Schönheit.

1907 schuf er den Altar der Kirche von Dorfprozelten. 1908 heiratete Heinz Schiestl die aus München stammende Volksschullehrerin Linda Wölfel in dieser Kirche.

Eine lebenslange Freundschaft verband Carl und Maria Uhl mit den drei Brüdern Schiestl. Der Schlossermeister hatte am Fuß des Dallenberges steinige Ödflächen aufgelassener Weinberge aufgekauft und mit viel Mühe einen Garten angelegt. Das Gartenhaus am Mittleren Dallenbergweg 4 stellte er den Brüdern als Sommeraufenthalt zur Verfügung. Heinz Schiestl nannte diese Zuflucht vor der Sommerhitze im Würzburger Talkessel seine Almhütte, von der aus er mit geschlossenen Augen das Land Tirol sehen könne.

Zu den Gönnern Heinz Schiestls zählte auch Dr. Josef Balduin Kittel, der Syndikus der Industrie- und Handelskammer, der in seinem Haus im Leistengrund ein Schiestlzimmer einrichten ließ. Dieses ist jetzt im Spessart-Museum in Lohr zu sehen. Aufsehen erregten 1905 die Glasbilder der Männer und Frauen in fränkischer Tracht mit den Schriftbändrn, die Heinz Schiestl für das Weinhaus Stachel entwarf und Glasermeister Matthias Niebler ausführte.

Heinz Schiestl fand auch weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus große Beachtung als erfolgreichster und originellster Notgeldzeichner im ersten Weltkrieg.

Seine Frau Linda erlag am 5. Mai 1922 nach langem Leiden einer heimtückischen Krankheit, erst 46 Jahre alt. Da ihm die Augustiner eine Werkstatt direkt neben ihrer Kirche in der Dominikanergasse anboten, gab er 1926 die Werkstatt in der Kapuzinerstraße 23 an den Bildschnitzer Josef Gerngras ab und zog um. Seinen letzten und bedeutendsten Kreuzweg schnitzte er für die Kirche der Augustiner. Hier erreichte ihn der Gollhofener Pfarrer Wilhelm Sebastian Schmerl, der 1926 an die Deutschhauskirche versetzt worden war, mit dem Auftrag, für die leergeräumte Kirche, die bis 1921/1922 als Militäreffektendepot gedient hatte, einen Kruzifixus für den Altar zu schaffen. Ihm gelang es, sehr realistisch den eben in den Tod eingehenden Christus und die Assistenzfiguren Maria und Johannes darzustellen.

Wohl fühlte er sich bei den „Roßpergern“ und bei der „Hätzfelder Flößerzunft“, die im „Döle“ zu Hause war. Dieses Domizil über dem Zwischengemäuerbach in Heidingsfeld hatte einst das Ehepaar Uhl gegen das Bild „Maria unter dem Apfelbaum“ an Rudolf Schiestl abgegeben. Das Bild kam später an die Städtische Galerie Würzburg, das „Döle“ als Geschenk von Notburga Schiestl-List und Dr. Paul List an die Stadt Würzburg.
Als Heinz Schiestl 70 Jahre alt war, wurde ihm der Mainfränkische Riemenschneiderpreis für Bildende Kunst der Stadt Würzburg verliehen. Heinz Schiestl erkrankte an Bauchwassersucht und wurde von Rita-Schwestern aufopfernd gepflegt. Er vermachte ihnen den ehemaligen Uhlschen Garten mit dem „Schiestlhaus“ Mittlerer Dallenbergweg 4, das seitdem „Marienfried“ heißt.

Über seinen Tod am 11. April 1940 in seiner Werkstatt an der Augustinerkirche berichtete am gleichen Tage Wilhelm Sebastian Schmerl in einem Brief an seine Kinder:
„Zu ungewöhnlicher Stunde schreibe ich heute den Wochenbrief als Ersatz meines Mittagsschlafes. Heute ist mir der ganze Tag umgeworfen worden nach meinen 2 Schulstunden. Um 11 ½ Uhr ist der liebe Heinz Schiestl gestorben! Gestern Nachmittag habe ich ihn noch besucht. Heinz lag im Bett, war blass und sehr müde. Er hatte zuletzt die Wassersucht. Als ich nach kurzem Besuch aufbrach mit der Bemerkung, ich wolle nicht länger stören, gab er mir die Hand und sagte fast ganz stimmlos: „Sie stören mich nicht.“ Das war unser Abschied für dieses Leben. Uns allen geht sein Tod sehr nahe. Ich habe an diesem Mann in den 11 Jahren unserer Bekanntschaft nicht eine Spur von Unlauterkeit gesehen.“

Es wurde eine große Beerdigung auf dem Würzburger Hauptfriedhof. Hinter den Verwandten schritt Dr. Matthias Ehrenfried, der Bischof von Würzburg, vor Hunderten von Freunden, Künstlern, Auftraggebern und Ordensangehörigen. Das Grab war mit Kränzen übersät. Im Jahr 1980 nahm die Stadt Würzburg das Familiengrab Schiestl in Obhut und Pflege.