Würzburg gedachte der Opfer der Reichspogromnacht


9. November 2015: Vor genau 77 Jahren brannten in der Nacht die Synagogen in der Tschechoslowakei, in Österreich, in Deutschland. Die jüdischen Gotteshäuser wurden geschändet und angezündet, ihre Heiligtümer zerschlagen. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die es schafften, in letzter Minute aus ihren Wohnungen zu fliehen, kehrten in ein Trümmerfeld zurück. Aus Worten und Diskriminierung waren Verfolgung und Vernichtung von bürgerlicher und sogar physischer Existenz geworden. Diese Nacht war das Signal für den Völkermord. Auch in Würzburg gab es direkt drei Todesopfer. „Gewalt brach sich in einer neuen Dimension ihren Weg, wurde noch mehr zum alltäglichen Gegenstand einer Gesellschaft, die Ausgrenzung in Ausrottung, in Vernichtung überführte. Und Würzburger sahen zu, nahmen billigend in Kauf oder waren sogar aktiv beteiligt“, erinnerte Oberbürgermeister Christian Schuchardt bei der Gedenkveranstaltung am späten Nachmittag des 9. November am Platz der ehemaligen Hauptsynagoge in der Domerschulstraße.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden Dr. Josef Schuster hatte zuvor hochrangige Vertreter aus Politik, Kirchen, Kultur, Justiz, Wirtschaft, Polizei, Schulen, Bildungsverbänden und Vereinen zu dieser Gedenkveranstaltung begrüßt und rief dazu auf, weiterhin „mutig für unsere Demokratie einzustehen und unsere Werte zu verteidigen.“ „Ihrer Würde und ihrer Leben beraubt, hatten tausende jüdische Familien nach der Reichspogromnacht 1938 die bittere Erkenntnis: Es gibt keine Zukunft mehr für jüdisches Leben in Deutschland.“ Den Vergleich mit der aktuellen Lage, in der immer wieder Flüchtlingsheime angezündet werden, hält er aber für „völlig unzulässig. Damals war die Zerstörung staatlich gelenkt und die breite Bevölkerung schaute zu. Heute stellt sich der Staat schützend vor die Flüchtlinge. Unsere Demokratie ist weitaus gefestigter als in der Weimarer Republik.“
Auch Oberbürgermeister Christian Schuchardt lenkte den Blick von der Vergangenheit in die Gegenwart: „Ich schäme mich für die seinerzeitigen Verbrechen und die Gesellschaft, die dies ermöglicht hat. Das Reduzieren von Menschen in eine Kategorie, die grundsätzlich als nicht lebenswert abgestempelt wurde, widerspricht unseren Idealen und Wertvorstellungen aufs Tiefste. Wir wollen alle aus der Vergangenheit lernen. Zuschauen und Abwarten ist keine Lösung. Wir lassen nie wieder jemanden alleine und schauen nur zu.“ Ein Vertrauensbeweis hingegen sei, dass sich jüdische Bürgerinnen und Bürger trotz aller Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 wieder für ein Leben in Deutschland entschieden haben. „Hier ist kein Platz für Vorurteile und Diskriminierung.“
Regierungspräsident Dr. Paul Beinhofer sieht eine zweifache Verantwortung: „Für jüdisches Leben in Deutschland und für menschenwürdiges Leben der Flüchtlinge in Sicherheit.“ Er forderte aufgrund der Ereignisse von 1938, deren Nährboden „Angst und fehlende Integration“ gewesen seien, „echte Toleranz, Dialoge und die frühzeitige Integration der Asylsuchenden gemeinsam mit den muslimischen Gemeinden. Damit wird die heutige Situation auch Chance für uns.“
Die Gedenkveranstaltung im dunklen Innenhof in der Domerschulstraße endete mit einem Gebet des Rabbiners Jakov Ebert – und so mancher Besucher wird sich gewünscht haben, dass die Stimme des Rabbiners weit in die Dunkelheit der Nacht getragen und auf fruchtbaren Boden fallen werde.