Stadt und Landkreis starten „Interkommunales PräventionsNetzwerk Radikalisierung“


Das Problem „Radikalisierung“ spaltet zunehmend die Gesellschaft, bundesweit. Warum und auf welchen Wegen aber lassen sich Menschen radikalisieren? Wie lässt sich eine Neigung zu Radikalisierung jeglicher Form überhaupt erkennen? Und die wichtigste Frage: Wie kann ein Gegensteuern gelingen? Frühzeitig Signale erkennen und Ebenen aufbauen, um radikalen Gruppen und Ideologien keinen Nährboden zu bieten, das möchten Stadt und Landkreis Würzburg. Dazu starten sie ein „Interkommunales PräventionsNetzwerk Radikalisierung“.

Das interkommunale Netzwerk mit konkreten Projekten für Kinder und Jugendliche ist, mit diesem Schwerpunkt, bisher einzigartig in ganz Bayern. Stadt und Landkreis erhalten dafür eine Förderung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration. Das StMAS fördert sowohl die Personalstellen als auch die Projektarbeit in beiden Verwaltungen bis Ende 2019.
Start des Projekts war im Landkreis Würzburg am 1. Mai, in der Stadt Würzburg am 15. Mai.
„Wir arbeiten intensiv interkommunal zusammen, um Radikalisierung unabhängig von ihrer Richtung vorzubeugen. Hauptaufgabe ist der Dialog und das Miteinander“, formuliert Oberbürgermeister Christian Schuchardt eine Überschrift des PräventionsNetzwerks. Das Netzwerk wird helfen, Ideologisierung vorzubeugen, indem den Jugendlichen vielfältige Lebensentwürfe nahegebracht und gemeinsame Werte vermittelt werden. Prävention meint in diesem Zusammenhang die Grundimmunisierung von Personen gegenüber extremistischen Ideologien aufgrund von Sensibilisierung über Aufklärung und Prävention. Denn: „Wir wollen keine Vorurteile“, betont Landrat Eberhard Nuß.

„Wir sind sehr dankbar für die Förderung und auch stolz“, sagt Würzburgs Sozialreferentin Dr. Hülya Düber. „Es ist ein einzigartiges Projekt, das allgemeine und spezifische Themen und Bedürfnisse Jugendlicher aufgreift und pädagogische Fachkräfte informiert und sensibilisiert.“ „Der interkommunale Ansatz und die direkte Präventionsarbeit mit den Jugendlichen machen die Einzigartigkeit des Projektes aus“, erklärt Eva-Maria Löffler, Geschäftsbereichsleiterin Jugend, Soziales und Gesundheit vom Landratsamt Würzburg. „Tatsächlich wissen wir nicht, wie Radikalisierung funktioniert, aber mit der Jugendarbeit haben wir einen guten Hebel, frühzeitig anzusetzen und Mechanismen zum Gegensteuern zu entwickeln“, weiß Klaus Rostek, Fachbereichsleiter Amt für Jugend und Familie, Landkreis Würzburg.

Die Arbeit im PräventionsNetzwerk Radikalisierung wird sich in einem ersten Schritt religiös begründeter Radikalisierung widmen. Dazu wird der Dialog mit allen Glau-bensrichtungen gesucht, um jeder Form von Ideologisierung vorzubeugen. Das Prä-ventionsNetzwerk Radikalisierung schließt sich dem Leitbild von Ufuq an, einem anerkannten Träger der freien Jugendhilfe und der politischen Bildung und Prävention zu den Themen Islam, Islamfeindlichkeit, aber auch Islamismus. Dieses Leitbild besagt, dass die Veränderungen in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland auch zu Irritationen, Verunsicherungen und Ängsten führen. Daran knüpfen nationalistische, rassistische oder religiös begründete fundamentalistische Strömungen an und setzen der pluralistischen Wirklichkeit Ideologien der Ungleichheit entgegen. Dies ist laut Ufuq „eine Chance für die beständig notwendigen Prozesse der Vergewisserung, Stärkung und Weiterentwicklung von Werten und Normen des Zusammenlebens in der Demokratie.“

Das Konzept des PräventionsNetzwerks Radikalisierung basiert auf drei Handlungsfeldern:

1. Netzwerkbildung aller Akteure
2. Sensibilisierung und Schulungen von Multiplikatoren
3. Prävention: Konkrete Projekte für Kinder und Jugendliche

1. Netzwerkbildung:
Die Stadt Würzburg setzt sich bereits seit 2011 sehr engagiert im bundesweiten Rahmen von „Demokratie leben“ und dessen Vorgängerprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ gegen jede Form von Diskriminierung ein, ganz besonders auch Rechtsextremismus. Inhalt ist der Ausbau demokratischer Werte und zivilge-sellschaftlichen Engagements. Kooperationspartner von „Demokratie leben“ in Würzburg ist das Bündnis für Zivilcourage. Die vielfältigen Erfahrungen der Akteure aus „Demokratie leben“, sowie die daraus schon erfolgte Vernetzung der Kräfte vor Ort, sind beim Aufbau des PräventionsNetzwerks Radikalisierung hilfreich. Eingebunden sind darin Akteure sämtlicher hier ansässiger Glaubensgemeinschaften und Kirchen.

2. Sensibilisierung und Schulungen von Multiplikatoren
Multiplikatoren wie Pädagoginnen und Pädagogen werden in Fachvorträgen, Fachtagungen, Diskussionsveranstaltungen und Fortbildungen für Warnsignale und Ursachen von Radikalisierung sensibilisiert. Vermittelt wird dort auch religionspädagogisches Wissen. Damit werden die Multiplikatoren befähigt, Radikalisierungstendenzen bei Jugendlichen frühzeitig zu erkennen.

3. Prävention: Konkrete Projekte für Kinder und Jugendliche
Es werden Präventionsformen und individuelle Maßnahmen bei ersten Anzeichen von Radikalisierungstendenzen entwickelt, die die Jugendlichen stärken und ihnen eine gemeinsame Wertebasis vermitteln. In Workshops setzen sich die Jugendli-chen dann gezielt mit Vorurteilen, Diskriminierung aber auch Demokratie und Werten auseinander. Ziel ist es, die Heranwachsenden in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, damit sie vor einfachen ideologisch begründeten Angeboten und deren Wirkmechanismen besser geschützt sind. Themen werden sein: religiöse Bildung und interreligiöser Dialog, Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, Aufklärung über Extremismus und Terrorismus, partizipative Methoden der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung. Das Angebot wird sich an alle Jugendlichen richten, ob mit oder ohne Migrationshintergrund.

Was können Warnsignale von Radikalisierung sein?
Jugendliche, die deutliche Verhaltensänderungen zeigen, sich von sogenannten „Ungläubigen“ abgrenzen, gegen klar abgegrenzte Feindbilder agitieren, sich isolieren und abschotten, zeigen Warnsignale von Radikalisierung. Auch das äußere Erscheinungsbild oder das Essverhalten können sich ändern. „Wichtig ist es, eventuelle Identitätskrisen von Jugendlichen zu erkennen und schon bei vereinzelten, ideologischen Kommentaren frühzeitig einzugreifen“, erklärt Elena Enzmann, Projektleiterin des PräventionsNetzwerks für die Stadt Würzburg. Häufig setzen betroffene Jugendliche der Komplexität der modernen Welt eine Schwarz-Weiß-Sicht gegenüber. Unabhängig vom ideologischen Gehalt bedinge Radikalisierung aber immer ein Zusammenspiel von Persönlichkeitsfaktoren, Sozialisationseffekten und Gelegenheitsstrukturen, wie eine labile Persönlichkeit im Jugendalter mit geringer sozialer Resonanz, konfliktbeladenen Familienverhältnissen, Diskriminierungserfahrungen sowie die letztlich zufällige Gelegenheit mit Szenenangehörigen in Kontakt zu kommen.
Sowohl Stadt als auch Landkreis Würzburg haben für die Leitung des Präventions-Netzwerks eine eigene Stelle geschaffen. Im Landkreis Würzburg übernimmt diese Tätigkeit Diplom-Sozialpädagoge Jürgen Schwab, in Würzburg Diplom-Sozialpädagogin Elena Enzmann. Diese werden sich untereinander austauschen, gemeinsame, aber auch eigene Veranstaltungen für die Multiplikatoren und die Workshops für die Jugendlichen koordinieren und durchführen.