Mit dem Klimawandel verändert sich auch in hiesigen Breiten die Vegetation. Inwieweit Wildtiere in der Lage sind auf diesen Wandel zu reagieren, haben Wissenschaftler jetzt erstmals experimentell untersucht.
Die meiste Energie steckt im frischen Frühjahrsgrün. Im Laufe des Jahres sinkt die Futterqualität der Pflanzen dann beständig. In den Bergen läuft das „Greening“ – also der Austrieb – im Frühjahr von unten nach oben ab. Viele Tiere folgen im besten Falle genau dieser grünen Welle. Der Klimawandel verschiebt diesen Rhythmus jedoch. Bei kurzen Wintern sprießt das Grün schon früher als es viele Tiere gewöhnt sind. Können Wildtiere darauf reagieren?
Dieser Frage haben sich Forscher der Universitäten Oslo, Würzburg und Freiburg im Nationalpark Bayerischer Wald erstmals in einem experimentellen Ansatz gewidmet. Verantwortlich für die Studie war Jörg Müller, Professor für Tierökologie und Tropenbiologie an der Uni Würzburg und Forschungsleiter im Nationalpark Bayerischer Wald. Im Bayerwald gibt es die dafür notwenige Infrastruktur, da ein Großteil der Hirsche die kalte Jahreszeit in vier Wintergattern verbringt.
20 Hirsche mit GPS ausgestattet
In dem Experiment haben die Wissenschaftler 20 Hirsche mit GPS-Sendern bestückt. Die Hälfte der Tiere hatte im Frühjahr sofort Zugang zu frischem Grün, für die andere Hälfte wurden die Gatter erst sechs Wochen später geöffnet.
Die jetzt in der Fachzeitschrift „Ecology“ publizierten Ergebnisse zeigen, dass die Tiere gezielt die frische und nährstoffreiche Vegetation aufsuchen. Die Hirsche, die die Wintergatter bereits früh verlassen hatten, „surften“ direkt auf der Welle des frischen Grüns vom Tal zu den Höhenlagen. Aber auch die später aus den Gattern entlassenen Tiere zeigten sich hochflexibel. Sie rannten einfach schneller bergauf, dorthin, wo besseres Grün zu finden war.
Unerwartet hohe Flexibilität
„Beobachtet hatte man dieses Verhalten schon seit Jahren, doch erst jetzt im Experiment wurde bewiesen, welch hohe individuelle Flexibilität Rothirsche zeigen, um auf veränderte Umweltbedingungen reagieren zu können“, fasst Jörg Müller das Ergebnis der Studie zusammen. Oder, kurz gesagt: „Die Tiere sind in der Lage, sich schnell und flexibel anzupassen.“ Eine Eigenschaft, die sie angesichts des Klimawandels gut gebrauchen könnten.
Green wave tracking by large herbivores: an experimental approach. Rivrud Inger Maren; Heurich Marco; Krupczynski Philipp; Müller Jörg, Mysterud Atle: In: Ecology. Ecological Society of America (Volume 97, Issue 12). DOI: 10.1002/ecy.1596/full