Ein realistischer Blick auf Infektionen


Neue Methoden und Strategien zur Untersuchung zentraler Mechanismen von Infektionen des Menschen stehen im Mittelpunkt eines neuen Graduiertenkollegs an der Universität Würzburg. Zum Einsatz kommen dabei auch spezielle dreidimensionale humane Gewebemodelle.
Wie schaffen es bestimmte Erreger, in den Körper des Menschen einzudringen? Auf welchen Wegen verbreiten sie sich und wie verrichten sie ihr bisweilen tödliches Werk? Wo verstecken sie sich vor dem Angriff des Immunsystems? Forscher, die Antworten auf diese und weitere Fragen suchen, kommen in der Regel mit Experimenten an Tiermodellen nicht weiter – zu unterschiedlich sind dafür humane Gewebe und Gewebe der Tiere.
Realitätsnahe Forschung dank Tissue Engineering
Aus diesem Grund verfolgt ein neues Graduiertenkolleg an der Universität Würzburg, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jetzt genehmigt hat, einen anderen Ansatz. Das Graduiertenkolleg „3D Tissue Models for Studying Microbial Infections by Human Pathogens” will neue Methoden und Strategien entwickeln, die den natürlichen Bedingungen sehr nahe kommen oder diese in den wesentlichen Komponenten widerspiegeln. Mit Hilfe des Tissue Engineerings sollen an dreidimensionalen humanen Gewebemodellen zentrale Mechanismen von Infektionen des Menschen realitätsnah untersucht werden. Sprecher des Kollegs ist Professor Thomas Rudel, Inhaber des Lehrstuhls für Mikrobiologie.
„Humane Krankheitserreger zu untersuchen ist nicht einfach, weil die standardmäßig verwendeten Zellkulturen und Tiermodelle artifizielle Systeme sind“, schildert Thomas Rudel das Problem. Der Weg, den die Wissenschaftler in dem neuen Graduiertenkolleg einschlagen, sieht deshalb andere Methoden vor: Gemeinsam mit dem Würzburger Institutsteil des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik und dessen Leiterin Professor Heike Walles werden die Experten der Infektionsbiologie aus menschlichen Zellen künstliche Gewebe züchten und dort das Verhalten der Erreger studieren. Klassische Eintrittspforten wie Haut und Schleimhäute der Atemwege stehen dabei im Mittelpunkt der Forschung, genauso wie die innere Auskleidung des Darm- und des Urogenitaltrakts.
Das neue Graduiertenkolleg
Rund fünf Millionen Euro stellt die DFG den Würzburger Wissenschaftlern dafür in den kommenden viereinhalb Jahren zur Verfügung; eine Verlängerung um den gleichen Zeitraum ist möglich. Offiziell nimmt das Graduiertenkolleg seine Arbeit im April 2016 auf. 15 Doktoranden werden aus dessen Mitteln finanziert; weitere zehn assoziierte Doktoranden werden nach Rudels Worten ebenfalls von den Ausbildungsmöglichkeiten profitieren. Sie erhalten so die Möglichkeit, in einem Forschungs- und Qualifizierungsprogramm auf hohem fachlichem Niveau zu promovieren. Die Graduiertenkollegs bieten ihnen „eine hohe Qualität der fachlichen und persönlichen Betreuung“ sowie „deutlich verbesserte strukturelle und finanzielle Rahmenbedingungen“ für ihre Promotion, wie die DFG schreibt. Die Mitglieder des neuen Graduiertenkollegs kommen aus unterschiedlichen Fachrichtungen und forschen an verschiedenen Erregern: Bakterien der Gattungen Neisseria und Chlamydia bilden beispielsweise Forschungsschwerpunkte im Labor von Thomas Rudel. Sie können Hirnhautentzündung, Lungenentzündung und Geschlechtskrankheiten verursachen. Mit dem Bakterium Campylobacter jejuni beschäftigt sich eine Nachwuchsgruppe am Zentrum für Infektionsforschung; es ist die derzeit häufigste Ursache für bakterielle Durchfallerkrankungen. Andere Gruppen arbeiten mit den Erregern von Typhus, Keuchhusten und Masern oder an Trypanosomen, den Erregern der Schlafkrankheit. Insgesamt sind Infektionskrankheiten bis heute eine der häufigsten Todesursachen weltweit.
Graduiertenkollegs der DFG
Aktuell fördert die DFG insgesamt 189 Graduiertenkollegs. Davon sind 30,7 Prozent im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften angesiedelt, 23,8 Prozent in den Lebenswissenschaften, 30,2 Prozent in den Naturwissenschaften und 15,3 Prozent in den Ingenieurwissenschaften. Hinzu kommen 16 jetzt neu bewilligte Kollegs, sobald diese ihre Arbeit aufnehmen.
An der Universität Würzburg sind derzeit vier Graduiertenkollegs aktiv. Sie forschen an Themen aus den Bereichen der organischen Chemie, der Psychologie, der pharmazeutischen und der physikalischen Chemie.