Ein Intellektueller in der Politik


Im vergangenen Mai konnte Theodor Berchem seinen 80. Geburtstag feiern. Aus diesem Anlass hatten jetzt die Universität Würzburg und der Deutsche Akademische Austauschdienst zu einem Festakt in die Neubaukirche geladen. Rund 400 Gäste waren der Einladung gefolgt.
Wenn in der Neubaukirche die Flamenco-Gitarre erklingt und Tänzerinnen Sevillanas – eine in Südspanien verbreitete Form des Volkstanzes – aufführen, kann das eigentlich nur eines bedeuten: Es muss eine Veranstaltung stattfinden, in deren Mittelpunkt Theodor Berchem steht. Schließlich ist Berchem Romanist und schon deshalb an der Kultur Spaniens interessiert; zum anderen spielt er selbst die klassische Gitarre auf einem „für einen Amateur ganz beachtlichen Niveau“, wie er selbst sagt.
Theodor Berchem hat von 1975 an die Geschicke der Universität Würzburg 28 Jahre lang geleitet – zunächst als Rektor, später als Präsident. Darüber hinaus übte er 20 Jahre lang – von 1988 bis 2008 – das Amt des Präsidenten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) aus. Am 22. Mai 2015 hat er seinen 80. Geburtstag gefeiert. Aus diesem Grund haben die Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der DAAD jetzt eine Festveranstaltung für ihn organisiert. Und rund 400 Gäste aus Wissenschaft, Politik, Kirche und Verwaltung waren der Einladung gefolgt. Im Laufe der gut zweistündigen Feier durften sie die zahlreichen Facetten der Person Theodor Berchem kennen lernen.
Die Reden von Alfred Forchel und Bernd Sibler
„Er hat die Weichen am Übergang von der Nachkriegs-Universität zu einer modernen Universität in hervorragender Weise gestellt“: Mit diesen Worten stellte Berchems Nach-Nachfolger, Unipräsident Alfred Forchel, den Jubilar vor. Mit seinem Engagement habe er sich herausragende Verdienste um die Universität erworben. Ähnlich das Urteil von Bernd Sibler, Staatssekretär im bayerischen Wissenschaftsministerium: „Theodor Berchem ist eine herausragende wissenschaftliche Persönlichkeit in der bayerischen Hochschullandschaft“, lautete sein Urteil. Mit seinem unermüdlichen Einsatz habe er die Wissenschaftspolitik nicht nur in Bayern, sondern europaweit geprägt.
Margret Wintermantels Beitrag
Margret Wintermantel, Präsidentin des DAAD, stellte Berchems Engagement auf dem Gebiet der Internationalisierung in den Mittelpunkt ihrer Rede. Berchem habe in seiner Zeit als DAAD-Präsident „Anerkennung, Partner und Freunde in aller Welt“ gewonnen – und damit das Motto der Institution auf das Beste verkörpert. Er habe „ein Herz für die Jugend der Welt“ gezeigt und es mit seiner Arbeit unzähligen jungen Menschen ermöglicht, sich neue Welten zu erschließen und ihre Potenziale zu entfalten. Sein Engagement auf dem Gebiet der Internationalisierung erfährt Wintermantel noch heute ganz direkt: „Egal in welches Land ich reise, immer trägt man mir auf, Theodor Berchem herzliche Grüße auszurichten.“
Der Dank zweier langjähriger Wegbegleiter
Sehr viel persönlicher fielen die Reden zweier langjähriger Wegbegleiter Theodor Berchems aus: Bruno Forster, früherer Kanzler der Uni Würzburg, konnte auf „fast 30 Jahre gemeinsame Aktivität für die Universität“ zurückblicken; 26 Jahre waren es für Christian Bode, den früheren Generalsekretär des DAAD. Von „Loyalität und gegenseitigem Vertrauen“ sei ihre Arbeit geprägt gewesen, sagte Forster; es sei ihm immer Freude und eine persönliche Bereicherung gewesen, „mit und unter Ihnen in der Hochschulleitung gewesen zu sein“.
„Theodor Berchem hat nie den Präsidenten heraushängen lassen, er kannte keine Allüren“, sagte Christian Bode. Was nicht heißt, dass er keine klare Linie verfolgt habe. Standfestigkeit sei eines seiner wesentlichen Merkmale gewesen. Ein Beispiel: Berchem konnte in der Westdeutschen Hochschulrektorenkonferenz, deren Präsident er von 1983 bis 1987 war, durchsetzen, dass auch die Vertreter der Fachhochschulen aufgenommen wurden und einen Sitz im Präsidium erhielten. Als aber sein Wunschkandidat in den ersten zwei Wahldurchgängen glatt durchfiel, hieß seine Reaktion: „Meine Herren, machen Sie sich nichts vor. Hier wird so lange gewählt, bis er drin ist.“
Ein Mangel an Selbstbewusstsein sei Berchems Sache nicht gewesen – eine Angst vor Thronen ebenfalls nicht. Wenn ihn ein Bundesminister mit einem Wutanfall überzogen habe, sei er ganz ruhig geblieben, habe lange und umständlich in seiner Jackentasche gekramt und seine Zigarillos hervorgeholt, um dann in seinem typischen rheinischen Dialekt zu fragen: „Sag mal, rauchst du eigentlich noch?“. „Es wurde dann doch noch ein schöner Nachmittag“, so Bodes Erinnerung.
Hans Maiers Festrede – eine Reise durch die Zeit
„Eine Fahrt durch einige Jahre und Jahrzehnte – durch die Zeit, in der wir leben“ unternahm Hans Maier, Kultusminister in Bayern und damit Dienstvorgesetzter von Theodor Berchem von 1970 bis 1986 in seiner Festrede. Dabei spannte Maier den Bogen von den 1930er-Jahren bis heute unter der Frage: „Wie hat Theodor Berchem diese Zeit erlebt, wie hat er sein Leben eingerichtet auf dem schmalen Grat zwischen Politik und Wissenschaft?“.
„Theodor Berchem ist ein Intellektueller in der Politik“, lautete Maiers Urteil. Was sich im ersten Moment nach einem Kompliment anhört, drehte der Politiker anschließend scheinbar ins Gegenteil. Denn: „Intellektuelle lieben die Entscheidung nicht!“ Dabei müsse die Politik jedoch entscheiden. Ganz schlimm wird es nach Maiers Worten, wenn „Außenseiter aus den Sphären des Geistes“ ihre intellektuelle Überlegenheit ausspielen. Das führe in der Politik zum sicheren Ruin. Und wo Geduld gefordert ist, reagierten Intellektuelle oftmals mit Gereiztheit; statt bei der Stange zu bleiben, würden sie schnell die Geduld verlieren und sich neuen Problemen zuwenden.
Auf Theodor Berchem treffe all dies nicht zu: „Er ist bei der Stange geblieben – lebenslang. Er hat die Geduld nicht verloren, obwohl auch seine Nerven oft strapaziert wurden“, so Maier. Auf diese Weise seien seine Weltläufigkeit und Sprachenkenntnis, seine intellektuelle Schulung und seine Redegabe der deutschen, ja der europäischen Politik zu Gute gekommen. Und das sei ein Grund zum Feiern.

Theodor Berchems Dank
Und der Jubilar – wie reagierte der auf das geballte Lob? Typisch, nämlich rheinisch-gelassen, könnte man sagen. Theodor Berchem dankte allen Gratulanten, Gästen und Organisatoren des Festakts – und natürlich den Musikern und Tänzerinnen. Und nutzte dann die Gelegenheit zu einem kleinen Rückblick. „Man tut in so vielen Jahren Vieles, was gut ist, und Manches, was nicht so gelingt. Das versinkt aber alles sofort“, sei seine Erfahrung. Der Festakt in der Neubaukirche zeige allerdings auf das Deutlichste, dass dieser Satz nicht immer stimmt. Bei seinem Amtsantritt als Rektor der Uni sei das Gebäude „eine Schutthalde mit einem provisorischen Dach“ gewesen. Erst nach mehr als zehn Jahren harter Kämpfe mit der Regierung und viel Bettelei habe die Universität die ehemalige Kirche wieder als Festaula benutzen können. Eine gute Bestätigung also für Hans Maiers These: In der Politik ist Geduld gefragt.
Zwei Stunden Reden: Da war es nicht schlecht, dass zum Abschluss Mercedes Sebald mit zwei Tänzerinnen die Bühne betrat und die Sevillanas tanzte – „damit wir auch die letzte Viertelstunde ohne Herzschrittmacher noch richtig dabei sind“, wie Theodor Berchem sagte. Und wenn es an dieser Stelle im Text normalerweise heißt: „Für den musikalischen Rahmen sorgte …“, ist in diesem Fall wohl eher der Satz angebracht: Für den musikalischen Höhepunkt der Festveranstaltung sorgten auf der klassischen Gitarre Jürgen Ruck und Raphael Ophaus sowie ganz besonders Rafael Cortés an der Flamenco-Gitarre. Mit ihren Darbietungen brachten sie viele Füße und Köpfe der Festgesellschaft zum rhythmischen Wippen.