Der Hass im Netz und woher er kommt


Ist aus dem Internet eine Plattform für Wut und Angst geworden? Wie kommt es zur Hasskommunikation und warum geben wir so viel Privates preis? Eine Soziologin der Uni Würzburg hat sich in ihrem neuesten Buch auf Spurensuche begeben.

Pöbeleien gegen Mitbürger, Aggression gegen Promis, Hass und Morddrohungen gegen Politiker. Wer an die Sozialen Medien denkt, hat sehr oft kein gutes Bild über Plattformen wie Facebook, Twitter und Co. Und das nicht ganz zu Unrecht. Im Gegensatz zu „klassischen“ Medien sind die Sozialen Medien voll mit Privatem bzw. privaten Ansichten und verbreiten hochemotionale Meinungen oft wie Nachrichten. Das führt dazu, dass sich Privatheit und Öffentlichkeit grundsätzlich verändern.

Als intimisierte Öffentlichkeiten bezeichnet Elke Wagner, Professorin für Spezielle Soziologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), dieses neue System. In ihrem neuen Buch „Intimisierte Öffentlichkeiten – Pöbeleien, Shitstorms und Emotionen auf Facebook“ nimmt Wagner die aktuelle Diskussion über Soziale Medien, Privatheit und Hasskommunikation auf und analysiert diese neu entstandenen Öffentlichkeiten.

Kommunikation in der Filterblase

Insbesondere Facebook war bereits Thema vieler Studien. Wagners Buch legt jedoch Wert auf Systematik: Wie wird auf Facebook kommuniziert? Und wie lässt sich das soziologisch einordnen?  Das Buch präsentiert und bereitet eine große Menge an Daten auf, die durch mehrjährige Forschung im Rahmen des Projekts „Öffentlichkeit und Privatheit im Web 2.0“ gesammelt wurden.

Mit dem Ausdruck „intimisierte Öffentlichkeiten“ will Wagner einen neuen Begriff in die Debatte einfügen. Eine schnelllebige Öffentlichkeit, bei der jeder mitreden kann und nicht das Argument zählt, sondern das privat Erlebte. „Diese eine Öffentlichkeit, wie sie die Bürgerlichkeit kennt, zersetzt sich“, erklärt Wagner. Jeder individuelle Nutzer habe seine Filterblase, die Sozialen Medien seien hier ein Verstärkermoment. Doch so strikt getrennt seien sie nicht immer, vor allem hinsichtlich der Privatsphäre: „Das Internet kommt ohne die analoge Privatheit nicht aus. Beide Sphären bestehen nicht unabhängig voneinander.“ In dem Buch beschäftigt sich Wagner auch mit der Frage, wie Nutzer damit umgehen, dass ihre privaten Daten ausgenutzt werden.

Das Emotionale führt zu Hass

Doch woher kommt dieser Drang, so viel Privates an die Öffentlichkeit preiszugeben? „Die digitale Infrastruktur ist so geformt, dass man als individueller Nutzer direkt angesprochen wird“, erklärt Wagner. „‚Was machst du gerade?‘ ‚Wie geht es dir?‘ Viele Nutzer reagieren entsprechend darauf.“ Diese emotionalisierte Adressierung von individuellen Personen führe letztlich dazu, dass alle Wahrnehmungen geäußert werden können.

 

„Was kann Otto Normalverbraucher auch kommunizieren? Er ist kein Experte, hat keine Ressourcen für Recherchen. Daher greift er auf Wahrnehmungsformate zurück. Er schreibt das, was er erlebt hat“, so Wagner. Diese oft sehr emotionale Kommunikation entwickle dann eine gewisse Eigendynamik mit hoher Reichweite. Zur Hasskommunikation ist es dann kein weiter Schritt mehr.

 

Wie es zur Hasskommunikation kommt, will das Buch aufzeigen – mit Erklärungsversuchen anhand empirischer Daten. Wie lässt sich Hass im Netz erklären? Und welche Folgen können Hass und Feindseligkeit im Netz haben? Dies wird zudem ein weiterer Forschungsfokus der Autorin bleiben.

 

Niederlage der Presse, Gefahr für die Demokratie?

 

Durch die emotionalisierte Kommunikation wird auch Kritik an der klassisch-bürgerlichen Presse laut – Stichwort Lügenpresse. „Diskurse werden verstärkt durch Social-Media-Formate geführt. Klassische Medienformate sind nicht mehr genug“, so Wagner. Die bürgerliche Öffentlichkeit sei damit in der Defensive: „Die reine Expertise ist im Diskurs nicht mehr ausreichend. ‚Authentizität‘ durch Erlebnisse wird inzwischen gleichberechtigt zum Sachargument gesehen.“

 

Entsprechend skeptisch sieht Wagner die Entwicklungen. Das Internet galt einst als Hoffnung der Demokratie, als „Demokratisierungs-Maschine“, so Wagner. Diese Hoffnung sei enttäuscht worden.

 

 

Kontakt

 

Prof. Dr. Elke Wagner, Professur für Spezielle Soziologie und Qualitative Methoden der Empirischen Sozialforschung, Universität Würzburg, T +49 (931) 31 83227, elke.wagner@uni-wuerzburg.de