Auf der Suche nach dem vermittelndem Element


Umwelt, Natur, Ökologie: Sein Forschungsthema klingt gar nicht nach einer Geisteswissenschaft. Hannes Bergthaller ist Professor in Taiwan. Jetzt ist er für ein Jahr als Humboldtstipendiat zu Gast am Lehrstuhl für Amerikanistik der Uni Würzburg. Sein Spezialgebiet sind die Environmental Humanities.

Damit sich erst gar kein falscher Eindruck breit machen kann: Hannes Bergthaller ist kein Umweltaktivist – auch wenn seine Sympathien häufig auf deren Seite sind. Als Vertreter einer relativ jungen Forschungsrichtung, der sogenannten Environmental Humanities, möchte er nicht „Sprachrohr der Umweltbewegung“ sein, sondern beobachten, analysieren und Schlüsse ziehen. Die Universität ist dafür seiner Meinung nach der geeignete Ort: „Die Universität bietet einen Freiraum für Reflexion, den man als Aktivist nicht haben kann“, sagt er. Für ein Jahr wird Bergthaller dieser Tätigkeit nun an der Universität Würzburg nachgehen.

Von Bonn über Taipeh nach Würzburg
Hannes Bergthaller (41) besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft, ist in Köln aufgewachsen und hat an der Universität Bonn, der University of Washington (Seattle) und der University of Wisconsin (Madison) amerikanische Literatur, Komparatistik und Philosophie studiert. Seit gut zehn Jahren lehrt er in Taiwan, seit vier Jahren als außerordentlicher Professor an der National Chung-Hsing University in Taichung. Als Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ist er jetzt vorübergehend nach Deutschland zurückgekehrt. Hier soll er zum einen dazu beitragen, die „in Deutschland noch kaum institutionalisierten Environmental Humanities an der JMU zu verankern“, wie seine Gastgeberin Catrin Gersdorf, Inhaberin des Lehrstuhls für Amerikanistik, sagt. Zum anderen will er sich in dieser Zeit aufs Schreiben konzentrieren. „Nature in Ruins“ lautet der Arbeitstitel seines Buchprojekts.

Die Zweideutigkeit dieses Titels ist gewünscht. Einerseits sind Ruinen „Orte, an denen die Grenze von Kultur und Natur thematisch wird“; an ihrem Beispiel lasse sich beobachten, wie Natur in die Gesellschaft eingreift. Andererseits liegt die Natur heutzutage dank menschlicher Eingriffe selbst in Ruinen. Und deshalb habe auch der Naturbegriff ausgedient: „Er bietet keine Orientierungsfunktion mehr“, sagt Bergthaller. Ambivalenz prägt seiner Ansicht nach auch das Verhältnis der Gesellschaft zu ihrer Umwelt. Denn während auf der einen Seite die Erkenntnisse der Ökologie zeigen, dass alles Leben miteinander verbunden und untereinander vernetzt ist, und sie damit Grenzen öffnen, sei es auf der anderen Seite heute notwendig, das menschliche Bedürfnis nach Schutzräumen ernst zu nehmen.

Geisteswissenschaft und Ökologie
Seit drei bis vier Jahren sind Environmental Humanities auf dem Weg, sich als Metadisziplin zu etablieren und sämtliche geisteswissenschaftliche Forschung zu Umweltthemen unter einem Dach zusammenzufassen. Wie Geisteswissenschaften und Ökologie zusammenpassen, dafür hat Hannes Bergthaller zwei Erklärungen. Die eine ist philosophischer Natur: „Das Verhältnis des Menschen zur Welt ist nie ein direktes. Es gibt immer ein vermittelndes Element“, sagt er. Immer existierten symbolische Strukturen, die das Verhältnis des Menschen zur seiner Umwelt prägen. Die aufzudecken und zu verstehen sei Aufgabe der Environmental Humanities.

Klingt ziemlich abstrakt, lässt sich nach Bergthallers Worten aber gut an einem Beispiel verdeutlichen: „Im Prinzip hatte Kopernikus nur entdeckt, dass sich die Erde um die Sonne dreht – und nicht, wie bisher angenommen, die Sonne um die Erde“. In der Folge wurde dies jedoch vielfach als eine Einsicht in die existenzielle Situation gedeutet: Der Mensch stehe nicht mehr im Mittelpunkt des Universums – und müsse sich jetzt selbst um den Sinn seines Lebens kümmern. Mit Astronomie hatte dies nur noch wenig zu tun, so Bergthaller. Auf ganz ähnliche Weise wird heute auch die Ökologie als eine ethische Herausforderung gedeutet, die nach einem neuen Selbstbild des Menschen verlange.

Naturwissenschaft alleine reicht nicht aus
An diesem Punkt kommt Bergthallers zweite Erklärung ins Spiel auf die Frage, weshalb Geisteswissenschaftler sich für Umweltthemen interessieren. „Die Naturwissenschaften reichen nicht aus, um Umweltprobleme in den Griff zu kriegen“, ist Bergthaller überzeugt. Seit mehr als einem halben Jahrhundert würden Naturwissenschaftler die Eingriffe des Menschen in die natürlichen Abläufe beklagen, vor den bedrohlichen Folgen warnen. Bei den meisten Menschen sei diese Botschaft inzwischen auch angekommen – aber der vielfach angestrebte radikale gesellschaftliche Wandel ist dennoch ausgeblieben. „Wie wir mit der Kluft zwischen kollektiven Erwartungen und tatsächlichen Entwicklungen umgehen, wie wir im Spannungsfeld zwischen Alltag und vorweggenommenen Katastrophen leben – um dies zu verstehen, braucht man die Geisteswissenschaften“, sagt der Wissenschaftler.
Bilder und Metaphern spielen dabei eine wichtige Rolle, so Bergthaller. In Metaphern verpackte Begriffe bieten Orientierungsfunktion; Bilder und Erzählungen liefern Vorstellungen vom Normalzustand und entfalten so ihre Wirkung. Wie stark diese Wirkung bisweilen werden kann, hat Bergthaller im Rahmen seiner Doktorarbeit untersucht. „Silent Spring” – Stummer Frühling – lautet der Titel des Buchs, mit dem der Wissenschaftler sich beschäftigt hat. Das Werk der Biologin Rachel Carson ist im Juni 1962 erschienen und gab den Startschuss für die US-amerikanische, möglicherweise sogar die weltweite Umweltbewegung. Carson kritisiert darin auf drastische Weise den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden. „Sie hat sich dabei der Rhetorik des Kalten Kriegs bedient und Sprachbilder aus diesem Umfeld gegen den Pestizidgebrauch eingesetzt”, erklärt Berthaller. Es habe dieses Buches bedurft, um die Öffentlichkeit wachzurütteln, so der Wissenschaftler.

Ein spannendes Umfeld in Würzburg
Warum sich Hannes Bergthaller als Humboldtstipendiat für die Universität Würzburg entschieden hat? Zum einen kannte er Catrin Gersdorf bereits über ihr gemeinsames Engagement in der „Europäischen Gesellschaft für das Studium von Literatur, Kultur und Umwelt“. Gersdorf sei einer der führenden Köpfe im Bereich des Ecocritcism, also der ökologisch orientierten Literaturwissenschaft, in Deutschland; ihre Arbeit über die Zusammenhänge zwischen Demokratie und ökologischem Denken liege nahe an seinen eigenen Forschungsinteressen. Darüber hinaus gebe es beispielsweise mit den Professoren Roland Borgards in der Germanistik und Isabel Karremann in der Anglistik weitere Geisteswissenschaftler an der Universität Würzburg, die auf dem weiten Feld der Environmental Humanities aktiv sind. Gemeinsam mit ihnen will er sich auf die Suche nach den kulturellen Dimensionen der Umweltkrise begeben.

Foto: Hannes Bergthaller interessiert sich für das Spannungsfeld zwischen Alltag und vorweggenommenen Katastrophen. (Foto: Gunnar Bartsch)