Es ist eines der größeren Verkehrsprojekte der Stadt Würzburg, ohne dass dafür auch nur ein Meter Straße, Radweg oder Schiene neu gebaut wurde. Das Umweltorientierte Verkehrs- und Mobilitätsmanagement (UVM) hatte 2018 folgenden Ausgangspunkt: Die Stickstoffdioxid-Konzentration
(NO2) ist in der Stadt keineswegs gleichverteilt. Es gibt Hotspots mit einer hohen Belastung. Diese Punkte liegen stets an Straßen mit einer starken Verkehrsbelastung. Gerade wo Autos regelmäßig im Stau stehen oder sich viele Verbrennungsmotoren nur im langsamen Stopp & Go durch Straßenschluchten bewegen, schnellen die entsprechenden Messwerte nach oben – womöglich auch über die gesetzlichen Grenzwerte. Mehr Verkehrsfluss an den neuralgischen Punkten, weniger motorisierter Individualverkehr insgesamt – dies sind die Wege um die hohen Stickstoffkonzentrationen in den Griff zu bekommen. Was wiederum gesünder für alle Menschen in den betroffenen Bereichen und entspannender für alle Verkehrsteilnehmer sein dürfte.
Aus dieser Grundüberlegung heraus wurde vom Würzburger Stadtrat ein komplexes Projekt mit Gesamtkosten von ca. 4.500.000 € auf den Weg gebracht. Rund die Hälfte dieser innovativen Investition wurde vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr getragen. Als Auftragnehmer erhielt Yunex Traffic (ehemals Siemens Mobility ITS) den Zuschlag zur Umsetzung verschiedenster Maßnahmen, welche in enger Zusammenarbeit mit den entsprechenden Dienststellen der Stadt Würzburg und der WVV durchgeführt wurden.
Die Stadt investierte gezielt und massiv in ein umfassendes Umweltmodell, Infrarot-Verkehrszähler, neue Soft- und Hardware für Lichtsignalanlagen oder einen leistungsstarken Verkehrsrechner. So entstand eine moderne und vernetzte Basisinfrastruktur, die strategische Eingriffe in den fließenden Verkehr in dieser Form erst ermöglicht. Im Technischen Rathaus in der Veitshöchheimer Straße werden nun alle Daten in der Verkehrsredaktion verarbeitet. Die enge Kooperation mit den Würzburger Stadtwerken, die viele der verschiedenen Komponenten technisch betreuen, ist dabei obligatorisch. Aktuelle oder prognostizierte Verkehrsdaten, Schadstoffbelastungen, lokale Wetterinformationen, Verkehrsaufkommen bieten ein detailreiches Gesamtbild des Würzburger Verkehrs in Echtzeit. Von den über 180 Würzburger Ampeln werden von der Zentrale aus 55 im Rahmen des UVM harmonisiert gesteuert, Tendenz steigend. Möglichkeiten gibt es
unzählige: angepasste Grünzeiten für die Hauptpendlerströme auch bezogen auf sehr kurze Zeitfenster, weitläufige Umfahrungen von Baustellen, schnelle Reaktionen auf Unfälle oder im Vorfeld bekannte Großveranstaltungen wie beispielsweise den Würzburger Residenzlauf.
Und es kommen immer neue Anwendungen hinzu: „Aktuell arbeiten wir beispielsweise an einer Verknüpfung mit unserem Parkleitsystem“, berichtet Verkehrsingenieur Jörn Egbert. Lästiger Parksuchverkehr könnte also bald weiter reduziert werden. Auch die Bevorrechtigung der Busse an Ampeln ist mit den nun geschaffenen technischen Grundlagen leichter möglich. „Hier hoffen wir die Busbeschleunigung bald an ersten Anlagen umzusetzen“, führt Egbert weiter aus.
Seit April 2021 wurde das UVM nach und nach in Betrieb gesetzt, das Feinjustieren und Weiterentwickeln wird sicher als eine spannende Daueraufgabe bleiben. Denn im Verkehr tut sich immer etwas: Saubere Techniken wie E-Bikes und E- oder Hybridfahrzeuge sind auf dem Vormarsch, neue Park & Ride-Möglichkeiten sind erklärtes Ziel der Politik in Stadt und Landkreis, Home Office behält vielleicht auch nach Corona einen höheren Stellenwert und schließlich könnte auch der aktuelle gesetzliche NO2-Grenzwert (40 µg/m³ im Jahresmittel) angepasst werden. Diese Trends und Vorgaben kann das UVM mit den passenden Programmen unterstützen. Unterschieden werden kann zwischen gezielten Eingriffen durch die Verkehrsredaktion und bewährten Automatismen, beispielsweise wenn das System selbst Ampelprogramme anpasst, um einen hohen NO2-Wert durch eine Verflüssigung an einem Hotspot wieder zu senken. Eine kontinuierliche Kontrolle ist in beiden Fällen unerlässlich und durch die umfangreiche Dokumentation auch möglich. Mensch und Maschine können so aus Herausforderungen lernen.
„Die Möglichkeiten des UVM sind noch lange nicht ausgeschöpft. Die Verkehrsteilnehmer sollen von den Rechnern und Logarithmen aber keinesfalls nach und nach entmündigt werden. Zum Gesamtkonzept gehören informierende Displays an den Hauptverkehrsachsen oder auch an der Drehscheibe Hauptbahnhof, eine kostenlose Sauber-Mobil-App mit Routenplaner, sinnvolle Verknüpfungen mit dem ÖPNV oder auch Angeboten wie Carsharing. Das ganze System setzt auf Pendler, die permanent mit guten Informationen und Argumenten versorgt werden und sich so entscheiden können, auch einmal neue Wege zu gehen bzw. zu fahren. Kurze Fahrtzeiten und niedrigere Schadstoff-Emmissionen sind glücklicherweise kein Widerspruch, sondern sie bedingen sich“, sieht Baureferent Benjamin Schneider große Potenziale für das Herzstück der Würzburger Verkehrsplanung.
Täglich pendeln zehntausende Menschen nach Würzburg. Dies sei gleichermaßen eine große Masse an Verkehrsaufkommen, aber auch zehntausende individuelle Fahrten, die sich in den genauen Zielorten, zeitlichen Vorgaben, Personenzahlen, Transportmitteln oder den finanziellen Ressourcen der Verkehrsteilnehmer doch wieder sehr unterscheiden. Hier liegt das Potential, das wie erste Auswertungen zeigen, schon jetzt vom UVM genutzt wird. Ein Vergleich von Daten aus den Jahren 2017 und 2021 zeigte an einigen Messstellen – wie beispielsweise im kritischen Bereich des Röntgenrings – eine deutliche Verbesserung der Verkehrsqualität. Hier finden nun prozentual weniger der Fahrten im Stau statt, sondern in einem zügigeren Tempo. Die gesammelten Daten von 53 Infrarotdetektoren ergeben für einen Großteil des Straßennetzes ein vollständiges Lagebild. Diese Daten können künftig auch die Grundlage verkehrspolitischer Entscheidungen sein. Einziger Wermutstropfen aktuell: Durch die Corona-Pandemie, deren erste Wellen zeitlich mit der Einführung des UVM zusammenfielen, kam es zu einer Reihe von Sondereffekten bei den Pendlern (beispielsweise durch neue
Gleitzeit- oder Home-Office-Regelungen), die es nun bei der Interpretation der Vorher-Nachher-Daten zu beachten gilt. Hierzu holt sich die Stadt Würzburg aktuell noch eine genaue Expertise ein. Schon heute ist klar ist, der Verkehr hat in Würzburg zuletzt abgenommen und aktuell werden alle NO2-Grenzwerte eingehalten.