Kulturelle Vielfalt für virtuelle Figuren


Wer in der Medieninformatik Menschen erwartet, die nur auf Computer und Algorithmen fixiert sind, liegt bei Birgit Lugrin (33) falsch. Die neue Professorin interessiert sich genauso stark für Menschen und ihre kulturellen Eigenheiten.
Man stelle sich das Online-Verkaufsportal eines Autohauses vor, auf dem ein virtueller Verkäufer die Kunden interaktiv informiert und berät. Er tut das mit lauter Stimme, ausladender Gestik und kumpelhaftem Ton. Ein US-Amerikaner würde sich bei diesem Typus gut aufgehoben fühlen. Einem Japaner dagegen wäre eher unwohl – in seinem Kulturkreis bevorzugt man dezentere Töne und zurückhaltendes Gebaren.
Dieses Beispiel zeigt, dass virtuelle Verkäufer, menschenähnliche Roboter oder andere technische Schnittstellen auf verschiedene Benutzergruppen zugeschnitten sein sollten. „Die Nutzer sind schließlich kein Einheitsbrei“, sagt Birgit Lugrin. Die neue Professorin für Medieninformatik an der Uni Würzburg arbeitet deshalb daran, Schnittstellen für unterschiedliche Zielgruppen zu gestalten.
Virtuelle Figuren mit kulturellen Eigenheiten
Designing for Diversity: Unter diesem Titel lässt sich Lugrins Forschungsarbeit zusammenfassen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf kulturellen Aspekten. In ihrer Doktorarbeit zum Beispiel hat die Informatikerin kulturelle Unterschiede in der Kommunikation von Japanern und Deutschen analysiert, sie in mathematische Modelle gepackt und ihnen in virtuellen Charakteren Gestalt verliehen.
Solche virtuellen Figuren lassen sich in vielen Bereichen einsetzen, etwa in Computerspielen, im elektronischen Handel oder in der Weiterbildung. Ein Fernziel, das Lugrin verfolgt: „Ich möchte gern virtuelle Lern- und Trainingsumgebungen entwickeln, mit denen man zum Beispiel auf dem Smartphone kulturelle Spielregeln lernen kann.“
Auf den genannten Gebieten liegen auch potenzielle Berufsfelder für die Studierenden. „Meine Forschung klingt zwar sehr speziell, ist aber in vielen Bereichen anwendbar, etwa in der Autoindustrie beim Design von Navigationssystemen“, sagt Lugrin. Denn im Grundsatz gehe es immer um eine Sache: IT-Systeme zielgruppengerecht zu planen und zu entwickeln.
Reeti-Roboter für soziale Aufgaben
Ein weiterer Schwerpunkt der Medieninformatikerin: Das Design von Robotern für soziale Aufgaben, vor allem in der Altenpflege. „Das schwappt seit einiger Zeit aus Japan zu uns herüber: Auch dort gibt es viele alte Menschen und zu wenig Pflegepersonal. Die Idee dahinter ist, dass die Roboter das Personal unterstützen und entlasten.“
Solche Roboter können die Größe und Gestalt einer Puppe haben und als soziale Begleiter konzipiert sein. Sie sprechen dann zum Beispiel zu den älteren Menschen und erinnern sie daran, genug zu trinken, die Medikamente zu nehmen oder die Wohnung zu lüften. Für die Arbeit auf diesem Gebiet will Lugrin einen Reeti-Roboter anschaffen. „Er ist trotz seiner Einfachheit sehr ausdrucksstark, damit kann man viele Dinge umsetzen.“ Ein Reeti erinnert an Figuren, wie man sie aus Animationsfilmen kennt. „Das ist wichtig, denn wenn Roboter zu menschlich wirken, empfindet man sie schnell als gruselig. Reeti dagegen sieht niedlich aus“, erklärt die Professorin.
Maschinen und Menschen vereint
Wenn die Wissenschaftlerin von ihrer Arbeit erzählt, ist ihr die Begeisterung deutlich anzumerken: „Ich liebe es, mich mit Maschinen zu beschäftigen, und ich liebe es, mich mit Menschen zu beschäftigen.“ In ihrer Forschung kann sie beides vereinen. Selbstverständlich arbeitet sie dabei mit interdisziplinären Teams, denen zum Beispiel Fachleute aus Psychologie und Pädagogik angehören.
Den Studierenden der Medienkommunikation bringt Lugrin die Grundlagen der Medieninformatik bei: Was steckt aus Sicht der Informatik hinter digitalisierten Texten, Fotos, Audios, Videos und dreidimensionalen Computergrafiken, wie werden verschiedene Medientypen codiert und digital verarbeitet – das sind hier die Themen. Für höhere Semester kommen Spezialseminare dazu, etwa über Robotik für soziale Anwendungen.
Werdegang von Birgit Lugrin
Birgit Lugrin, Jahrgang 1981, ist in Augsburg geboren und aufgewachsen. In ihrer Heimatstadt hat sie Informatik und Multimedia studiert; dort machte sie mit einem Stipendium des Elitenetzwerks Bayern auch ihre Doktorarbeit am Lehrstuhl für Human Centered Multimedia bei Professorin Elisabeth André.
Für ihre Dissertation „Cultural Diversity for Virtual Characters” erhielt sie gleich zwei Auszeichnungen: den prestigeträchtigen „IFAAMAS-12 Victor Lesser Distinguished Dissertation Award“ der International Foundation for Autonomous Agents and Multiagent Systems und den Wissenschaftspreis der Universität Augsburg.
Zum Sommersemester 2015 wurde Lugrin auf die Professur für Informatik (Medieninformatik) am Lehrstuhl Informatik IX (Mensch-Computer-Interaktion) der Universität Würzburg berufen. Die Studierenden kennen sie schon länger, denn sie hat diese Stelle im Sommersemester 2014 vertreten. Lugrin tritt die Nachfolge von Professor Frank Steinicke an, der an die Uni Hamburg gewechselt ist.
Kontakt
Prof. Dr. Birgit Lugrin, Professur für Medieninformatik, Universität Würzburg, T (0931) 31-84602, birgit.lugrin@uni-wuerzburg.de
Bildzeilen
Birgit Lugrin ist Professorin für Medieninformatik an der Universität Würzburg. (Foto: Robert Emmerich)
Oben eine typisch deutsche Kommunikationshaltung: Die Arme sind verschränkt oder in die Hüften gestemmt. Japaner (unten) halten die Arme näher am Körper. Die virtuellen Figuren stammen aus der Forschungsarbeit von Birgit Lugrin.
Eine Seniorin kommuniziert mit dem Roboter Alice, der als sozialer Begleiter für ältere Menschen einsetzbar gemacht werden kann. (Foto: Birgit Lugrin)
Demonstration eines Reeti-Roboters auf Youtube (in französischer Sprache)