Große Fragen ohne Ende


Würzburg ist ein guter Ort, um Thomas von Aquins Philosophie zu studieren, findet die Humboldt-Stipendiatin Dr. Therese Cory. Dass sie während ihres Aufenthalts an der Universität Würzburg ganz neue Erkenntnisse über die Arbeitsmoral der Deutschen gewinnen würde, hatte sie nicht erwartet.
Auf die Fragen, was der menschliche Geist ist, welche Funktion und welche Eigenschaften er besitzt, gibt es zahlreiche Antworten. „In der Geschichte der Philosophie wurden dazu viele Konzepte entwickelt“, sagt Dr. Therese Cory. Heute sei die gängige Vorstellung stark von den Ideen des französischen Philosophen René Descartes beeinflusst. Demnach gleicht der Körper einer Maschine, und der Geist sei etwas „Spukhaftes, nicht Greifbares“. Für Descartes‘ Ideen interessiert sich Cory allerdings nicht so sehr. Ihr Interesse gilt in erster Linie den mittelalterlichen Autoren; sie will wissen, was Thomas von Aquin meinte, wenn er von „Geist“ schrieb, und welche Denker ihn beeinflusst hatten.

Dr. Therese Cory ist Expertin für die Philosophie des Mittelalters. Mit einem Forschungsstipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ausgestattet, lebt sie seit Juni 2014 in Würzburg. Als Gast von Professor Dag Nikolaus Hasse, Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie III, arbeitet sie in der Institutsbibliothek in der Residenz an ihrem Buchprojekt „To Know Is To Be: Aquina’s Metaphysics of Intellectual Being“. Im kommenden August, nach Ablauf ihres Stipendiums, wird sie an der University of Notre Dame (Indiana, USA) eine Stelle als Assistenzprofessorin für Philosophie antreten.
Thomas von Aquin: Bedeutender Denker des Mittelalters
Thomas von Aquin, auf Englisch Thomas Aquina, (1225–1274) war Mitglied des Dominikanerordens. Er studierte und lehrte unter anderem an der Universität von Paris, die mit ihren Wurzeln bis ins Jahr 1200 zu den ältesten Universitäten der Welt zählt. „Mit ihm erreichte das Denken des Mittelalters einen seiner Höhepunkte. In seinen Werken vereinigen sich auf eigentümliche Weise die wichtigsten Traditionen des christlichen Zeitalters mit einem durch die arabische und jüdische Wissenschaft völlig neu motivierten Verständnis der aristotelischen Philosophie“, beschreibt das UTB-Online-Wörterbuch Philosophie von Aquins Schaffen.
„Thomas von Aquin war der bekannteste Denker des Mittelalters“, sagt auch Therese Cory. Als sie, noch zu College-Zeiten, zum ersten Mal einen seiner Texte lesen durfte, sei sie sofort davon gefesselt gewesen. Und seitdem haben seine Werke sie nicht mehr losgelassen. „Es ist überwältigend, wie systematisch sein Denken ist“, sagt sie. Anstelle von einzelnen Puzzlesteinen liefere Thomas in seinen Schriften „ein einziges, großes Bild“. Überhaupt ist die Wissenschaftlerin fasziniert von den Philosophen des Mittelalters. Die Arbeit an deren Texten erlaube es ihr, den gewohnten Rahmen zu verlassen und zu erfahren, wie frühere Gesellschaften Fragen diskutierten, die auch heute noch aktuell sind. „Ihre Aussagen ermöglichen es mir, Dinge von einer anderen Seite zu betrachten“, sagt sie.
Fragen nach Glauben und Wissen
Es sind die „großen Fragen“, mit denen sich die Gelehrten des Mittelalters – und Therese Cory – beschäftigen: Fragen nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen, nach dem Konzept von Gott, nach der Rolle der Religion. Je nach Person und Zeit fallen die Antworten unterschiedlich aus. Und vor allem unterscheiden sie sich von den Antworten, die Naturwissenschaftler geben. „In der Philosophie gibt es keine endgültigen Antworten. Wenn eine Frage beantwortet wird, folgt gleich der nächste Schritt, das nächste offene Rätsel“, so Cory. Wem das unbefriedigend erscheint, hält die Wissenschaftlerin entgegen: „Jeder, der sich Gedanken über sein Leben macht, betreibt Philosophie!“. Philosophie sei ein Weg, das eigene Leben besser zu verstehen.
Würzburg: Ein guter Ort für Philosophieforschung
Im Sommer 2012 war Therese Cory auf Empfehlung von Kollegen zum ersten Mal in Würzburg – für einen zweimonatigen Forschungsaufenthalt, bei dem es ebenfalls um Thomas von Aquin ging. Die Zeit habe ihr so gut gefallen, dass ihr schnell klar gewesen sei: „Hier muss ich wieder hin“. Das Philosophische Institut der Universität sei ein guter Platz, um Thomas von Aquin und die arabischen Einflüsse auf sein Werk zu studieren. Experten wie Dag Nikolaus Hasse und Jörn Müller, Professor für antike und mittelalterliche Philosophie, seien ihr eine große Hilfe beim Studium der originalen Quellen. Immerhin leitet Hasse die „Forschungsstelle Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte der griechisch-arabisch-lateinischen Tradition“ – eine Anlaufstelle für Anfragen aus Wissenschaft und Öffentlichkeit zum arabischen Erbe in Europa. Darüber hinaus sei die Bibliothek des Instituts im Bereich der mittelalterlichen Philosophie sehr gut ausgestattet und besitze Bücher, die in den USA nicht erhältlich seien.
Ganz nebenbei bemerkt gibt es auch einen indirekten Kontakt von Thomas von Aquin zu Würzburg: Sein Lehrer, Albertus Magnus, bei dem Thomas von 1245 an in Paris studiert hatte und dem er 1248 nach Köln an die neu gegründete Ordenshochschule der Dominikaner gefolgt war, hat von 1264 bis 1266 in Würzburg gelehrt – allerdings nicht an der Universität, denn die war erst 1402 gegründet worden.
Forschung an einem besonderen Ort
„Es ist aufregend, die europäischen Denker an den Orten zu studieren, an denen sie lebten und arbeiteten“, sagt Therese Cory. Das schaffe eine ganz andere Verbindung. Und natürlich sei sie jeden Tag aufs Neue beeindruckt, wenn sie über den Vorplatz der Residenz an ihren Arbeitsplatz gehe. Für sie als Philosophin ebenfalls sehr gut: die Nähe zum Hofgarten. „Philosophen müssen beim Denken viel laufen. Das kann ich im Hofgarten sehr gut“, sagt sie.
Auch wenn das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht immer frei von Konflikten ist, fühlt sich Therese Cory in Würzburg sehr wohl. „Jeder ist auf eine komplett freundliche Art neugierig, jeder ist hilfsbereit. Wir fühlen uns hier sehr willkommen“, sagt sie und meint mit „wir“ sich und ihren Ehemann, der sie während ihres Forschungsaufenthalts begleitet. Selbst als es darum ging, einen für Deutsche eher untypischen, für Amerikaner aber essentiellen Wunsch zu erfüllen – einen Truthahn zu Thanksgiving – habe ihr Metzger sein Möglichstes getan.
Überrascht von der Einstellung zu Arbeit und Freizeit
Eine Erfahrung habe sie allerdings überrascht, sagt Therese Cory: „In den USA existiert ein Bild von der german work culture, nach dem die Deutschen immer arbeiten, immer ernst sind und niemals Spaß haben“. Tatsächlich stimme das Gegenteil: Tagsüber würden die Deutschen zwar sehr konzentriert und fokussiert ihrer Arbeit nachgehen. Danach spiele die Arbeit jedoch keine Rolle mehr, stattdessen sei Freizeit und Erholung angesagt. Auch die Tatsache, dass sich Kollegen für drei Wochen in den Urlaub verabschieden, sei für sie „sehr neu“ gewesen. Über so lange Zeit weg vom Arbeitsplatz: Das gebe es in den USA nicht; dort werde in der Regel höchstens mal ein Wochenende mit ein oder zwei freien Tagen verlängert.
Als Kritik will die Wissenschaftlerin diese Beobachtung keinesfalls Geisten wissen – ganz im Gegenteil. „Ich glaube, diese Einstellung zur Arbeit ist sehr gesund“, sagt sie. Doch obwohl sie nun schon fast ein Jahr in Deutschland lebt, hat sie diese Einstellung noch nicht übernommen. „Ich versuche zu relaxen“, sagt sie. Das gelinge ihr aber nur an wenigen Abenden pro Woche.