Frauen-WG in Würzburg statt Familie in der Ukraine Zuhause ist Krieg


Sie kommen aus den kriegsumkämpften Gebieten der Ukraine, aus Charkiw, aus dem Süden und aus dem Osten des Landes und hatten nur einen einzigen Fluchtgrund: die Kinder in Sicherheit zu bringen. Mittlerweile leben acht Ukrainerinnen, die sich zum ersten Mal in der Notunterkunft in der Kürnachtalhalle begegnet sind, in der Würzburger Innenstadt in einer Frauen-WG. „Es ist komisch, in Deutschland auf der Straße unterwegs zu sein. Jedes Flugzeug macht Angst und Kirchenglocken irritieren“, berichtet Alona. Ausgerechnet der 16. März war der Tag ihrer Einreise, als in Würzburg 20 Minuten lang alle Kirchenglocken im Gedenken an die etwa 3.500 Toten und an die fast völlige Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg läuteten. Doch die Geschichte Würzburgs macht den Frauen aus der Ukraine auch Mut „für den Wiederaufbau unserer Städte.“ Die gemeinsame Erfahrung Krieg, ob in der Vergangenheit oder der Gegenwart, führt die Würzburger und Ukrainer zusammen. „Die Menschen sind sehr offen und begrüßen uns mit einem Lächeln“, berichtet Olesya. „An einer Haltestelle hat mich eine Familie angesprochen, die selbst vor 30 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland kam, das war ein schöner Moment.“ Olesya ist wegen Konstantyn und Sviatoslav geflohen, ihren Söhnen. Der ältere geht bereits in eine Würzburger Schule. „Weißwurst“, findet Konstantyn hier richtig gut, und auch die Würzburger Architektur (!). Nur dass die Deutschen beim Fußballschauen so laut sind, finden alle irgendwie komisch – genauso wie die enggefassten Datenschutzregeln. Ungewöhnlich sind für die aufgeweckte Gymnasiastin Lidia, die mit Mutter und Schwester hier ist, auch die vielen Radfahrerinnen und Radfahrer in der Stadt. Gerade die älteren Kinder scheinen in Würzburg bereits Fuß zu fassen. Hoch motiviert sind aber alle, schnell Deutsch zu lernen, „und sie sind sehr aktiv,“ sagt Übersetzerin Yana, die selbst aus der Ukraine stammt und in Würzburg studiert. „Sie fragen ständig, wie und wo müssen wir was machen, wo registrieren wir uns, wo gibt es Deutschkurse, wo Integrationskurse, wann können wir teilnehmen.“ So konnte Chemikerin Tatjana schon bei einem Unternehmen, das Lasertechnik herstellt, eine Arbeit antreten.

Experiment Frauen-WG
„Sowohl die acht Kinder als auch die Frauen haben sich schon in der Kürnachtalhalle sehr gut verstanden und sie passen einfach gut zusammen“, merkte Heike Mix sehr schnell. Die Sozialpädagogin war in der Notunterkunft städtische Ansprechpartnerin für die Angekommenen und begleitet sie weiterhin. „Mit ihnen konnten wir das WG-Experiment wagen“, fügt Christine Blum-Köhler hinzu. „Wir wollten sie auf keinen Fall trennen, da sie sich gegenseitig stützen“, erklärt die Integrationsbeauftragte der Stadt. Die acht Frauen unterstützen sich, beaufsichtigen die Kinder ab-wechselnd, müssen die gleichen Probleme bewältigen, haben den gleichen Horizont, lachen auch gemeinsam und genießen das abendliche Highlight, wenn die Kinder im Bett sind, zusammenzusitzen: „Es ist gut, nicht allein zu sein“, sagt eine der Frauen. Bezogen haben sie das ehemalige Elisabethenkinderheim, die Räume eignen sich für die WG hervorragend. „Es war ein Glücksfall, dass uns Einrichtungsleiter Simon Kuttenkeuler den leerstehenden Trakt anbot. Wir sind dankbar für seine engagierte und herzliche Hilfe und ganz besonders die seiner Ehefrau Elke“, freut sich Christine Blum-Köhler. Die Räume sind groß, sie bieten eigene Zimmer und Rückzugsräume für jede Mutter mit Kind, eine Küche und Gemeinschaftsräume, warmherzig eingerichtet und mit allem ausgestattet, was es für das Leben braucht. Wenn etwas fehlt, kümmert sich Elke Kuttenkeuler innerhalb kürzester Zeit. Sie brachte an Ostern Geschenke, backt Geburtstagskuchen und sorgt dafür, dass sich die Frauen und Kinder ein Stück weit zuhause fühlen.
Ihre Dankbarkeit dafür äußern die Ukrainerinnen mehrfach. Frauen und Kinder fühlen sich gut aufgehoben, aber ihr größter Wunsch ist das Ende des Krieges und die Rückkehr nach Hause zu den Männern und Vätern, „die Land und wortwörtlich Haus verteidigen“, übersetzt Yana. „Wir leben hier eine andere Realität als die Realität des Krieges, in der unsere Männer leben“, sagt Tatjana. Und der ein oder anderen ist deutlich anzumerken, dass es nicht einfach ist, darüber zu sprechen: „Es ist auch hart, hier zu sein.“

Geflüchtete Ukrainerinnen und ihre Kinder, die nun in einer Frauen-WG in der Innenstadt leben. Mitte: Christine Blum-Köhler (im schwarzen Kleid, Integrationsbeauftragte Stadt Würzburg), hinten li. stehend Heike Mix (Interkulturelle Frauenarbeit Stadt Würzburg), rechts Yana (Übersetzerin).
Text und Foto: Claudia Lother