Eine hoch emotionale Begegnung


„Ich wollte einfach nur helfen“, begründet Erika Schießer ihre Motivation, sich im Jahr 2002 im Rahmen einer Typisierungsaktion bei NETZWERK HOFFNUNG registrieren zu lassen. NETZWERK HOFFNUNG ist die Stammzellspender-Datei des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) und arbeitet eng mit dem Zentralen Knochenmarkspender-Register Deutschland (ZKRD) zusammen. Dieses vermittelt Stammzellspenden sowohl innerhalb Deutschlands, als auch in nahezu alle Länder der Welt. So kam es, dass die Stammzellen der heute 59-jährigen Wertheimerin im Jahr 2010 für eine Transplantation in Griechenland gebraucht wurden. Ihre HLA-Gewebemerkmale (HLA = Humane Leukozyten-Antigene) stimmten weitgehend mit denen eines dort an akuter myeloischer Leukämie erkrankten Menschen überein. „Für viele Patienten, die an dieser bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems oder einer vergleichbaren Krankheit leiden, ist die Transplantation von Stammzellen gesunder Spender die einzige Überlebenschance“, erläutert Prof. Markus Böck, der Direktor des Instituts für Klinische Transfusionsmedizin und Hämotherapie am UKW.

Zellseparator gewinnt Stammzellen
Wie in Deutschland üblich, kam bei Erika Schießer die Methode der peripheren Stammzellsammlung zum Einsatz. Dabei werden die Stammzellen ähnlich wie bei einer Spende von Blutplättchen aus dem Venenblut gewonnen. Das Blut der Spenderin oder des Spenders wird aus einer Armvene entnommen, in einem Kreislauf durch einen Zellseparator geleitet und über eine andere Armvene wieder in den Körper zurückgeführt. Der Zellseparator reichert die Stammzellen an und sammelt sie in einem speziellen Beutel.
„Da die Zahl der Stammzellen im Blut im Normalzustand sehr gering ist, müssen wir sie vorher medikamentös erhöhen“, schildert Prof. Böck und fährt fort: „Hierfür ist eine mehrtägige Vorbehandlung der Spender mit einem Medikament, einem so genannten Wachstumsfaktor, erforderlich.“ Der Wachstumsfaktor muss zweimal täglich unter die Haut gespritzt werden – vergleichbar einer Diabetes- oder Thrombose-Spritze. Erika Schießer brauchte dazu nicht immer zum Arzt gehen: Die Medizinisch-technische Assistentin der Rotkreuzklinik in Wertheim setzte sich die Spritzen zuhause selbst.

Grippeähnliche Nebenwirkungen
Das Medikament bewirkt, dass die Stammzellproduktion im Knochenmark angeregt wird und vermehrt Stammzellen ins Blut übertreten. „Als Nebenwirkungen des Wachstumsfaktors können Knochen- und Kopfschmerzen sowie allgemeine Abgeschlagenheit auftreten“, berichtet Prof. Böck. Auch Erika Schießer registrierte grippeähnliche Symptome, wobei nach ihren Angaben „der Begriff Schmerzen hierfür schon übertrieben wäre“.
Am Spendetag war Erika Schießer etwa fünf Stunden lang an den Zellseparator angeschlossen. Nach dieser schmerzfreien Prozedur waren auch die Grippesymptome innerhalb eines Tages weg. „Ein gesundheitlicher Nachteil durch den Verlust der Stammzellen ist für den Spender nicht zu erwarten“, unterstreicht Prof. Böck. Die periphere Spende hat in den letzten Jahren in Deutschland die alternative Methode der Knochenmarkentnahme aus dem Beckenkamm weitgehend ersetzt.

Zunächst kein Kontakt zwischen Spenderin und Empfänger
Wem konkret mit ihren Stammzellen geholfen wurde, wusste Erika Schießer fünf Jahre lang nicht. „Es gehört zu den Regeln des Patienten- und Spenderschutzes, dass der gesamte Vorgang streng anonym abläuft und zwei Jahre lang eine beiderseitige Kontaktsperre besteht“, erläutert Katharina Rappert, die sich im Sekretariat von NETZWERK HOFFNUNG unter anderem um die Kommunikation mit den Spendern, dem ZKRD sowie den Empfängereinrichtungen kümmert. Erst nach dieser Frist können auf gegenseitigen Wunsch die Adressen über das Spenderregister ausgetauscht werden. „Mit dieser Regelung soll in erster Linie verhindert werden, dass die Spender unter Druck kommen. Zum Beispiel soll es bei einem Rückfall des Patienten die auch emotional freie Entscheidung des Spenders bleiben, ob er erneut Stammzellen spenden will oder nicht“, so Katharina Rappert.

Einladung nach Griechenland
Laut Petra Herfurth, die ebenfalls im Sekretariat der UKW-Stammzellspender-Datei arbeitet, reicht es den meisten Spendern zu erfahren, dass es den Empfängern nach der Transplantation möglichst dauerhaft gut geht. Nur etwa ein Drittel strebt nach einem persönlichen Kontakt. So wie Erika Schießer. Nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist bekundete sie gegenüber Katharina Rappert und Petra Herfurth ihr Interesse an einer Kontaktaufnahme mit der oder dem bis dahin anonymen Empfänger/in. Doch es dauerte bis zum Herbst letzten Jahres, bis sich die „Gegenseite“ über das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland und das NETZWERK HOFFUNG bei ihr meldete. Von Prof. Alexandros Spyridonidis, dem Direktor der Stammzelltransplantations-Einheit und des Spenderprogramms der Universität Patras in Griechenland, traf eine Einladung zu einem feierlichen Patienten-Spender-Treffen ein. Erika Schießer stimmte zu und reiste im Dezember 2015 für sechs Tage auf Kosten der Universität Patras zusammen mit einer Freundin in die westgriechische Hafenstadt.

Erstes Treffen auf der Bühne
Zentrales Ereignis des Trips war ein Gala-Abend in der Festhalle der Universität Patras. Bei der von einem großem griechischen Medienaufgebot begleiteten Veranstaltung wurden vier deutsche und sieben griechische Stammzellenspenderinnen und -spender für ihr Engagement geehrt. „Wir wurden im Lauf des Abends einzeln auf die Bühne gebeten. Dort trafen wir zum ersten Mal mit den Empfängern unserer Stammzellen zusammen“, berichtet Erika Schießer. Auf sie persönlich wartete ein 28-jähriger Mann, bei dem im Jahr 2010 eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert wurde. Jetzt, fast fünf Jahre später, gilt Aris Zekios nach der erfolgreichen Stammzelltransplantation als geheilt. „Diese Begegnung war für uns beide ein sehr emotionales Erlebnis, das sich nur schwer beschreiben lässt. Für mich war und ist es ein unglaubliches gutes Gefühl tiefer Zufriedenheit, dass ich diesem überaus sympathischen Menschen habe helfen können“, schildert Erika Schießer. Aris Zekios begegnete seiner „Lebensretterin“ voller Dankbarkeit. Für den angehende Physiotherapeuten war Erika Schießer in den anschließenden Gesprächen schnell seine „süße kleine zweite Mutter“.
Die unterfränkische Spenderin und der griechische Empfänger planen, den Kontakt auf jeden Fall auch in Zukunft weiterzupflegen zumindest per Post und E-Mail, eventuell auch durch weitere gegenseitige Besuche.

Aufruf zu weiterer Typisierung
„Obwohl inzwischen international über 25 Millionen potenzielle Stammzellspender registriert sind, können viele Patienten derzeit nicht transplantiert werden, weil sich auf der ganzen Welt kein für sie geeigneter Spender finden lässt“, berichtet Prof. Böck. Damit auch diese Patienten eine Chance erhielten, sei es sehr wichtig, dass sich weiterhin möglichst viele Menschen als Spender registrieren ließen. Hierfür bietet sich das NETZWERK HOFFNUNG am Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Hämotherapie im Zentrum für Innere Medizin an der Oberdürrbacher Str. 6 in Würzburg an. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.netzwerk-hoffnung.de oder unter Tel: 0931/201-31325