Die Anatomie als Glücksfall


Gabriela Krasteva-Christ ist neue Professorin am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Würzburg. Im Mittelpunkt ihrer Forschung stehen Zellen, die Bitterstoffe schmecken können – allerdings nicht auf der Zunge, sondern beispielsweise in der Schleimhaut der Atemwege.

Ein unscheinbarer Nebensatz in einer Publikation hat den Anstoß für Gabriela Krasteva-Christs wissenschaftliche Karriere gegeben. „In dieser Arbeit haben Forscher aus Italien Bürstenzellen beschrieben, die in der Schleimhaut sitzen. In einem Nebensatz haben sie den Verdacht geäußert, dass diese Zellen möglicherweise dazu in der Lage sind, Reize von außen wahrzunehmen“, erzählt Krasteva-Christ. Diese Vermutung hatte der jungen Wissenschaftlerin keine Ruhe gelassen. Seitdem forscht sie intensiv an diesen Zellen – und hat den Verdacht ihrer italienischen Kollegen vor ein paar Jahren bestätigen können. Seit Februar dieses Jahres führt Krasteva-Christ ihre Arbeiten als Professorin für Anatomie und Zellbiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg fort.

Wie die Atemwege Eindringlinge abwehren
„Die Schleimhäute der Atemwege bilden eine Barriere zwischen dem Körperinneren und unserer Umwelt und stehen somit im Kontakt mit vielen potenziellen Krankheitserregern, beispielsweise Bakterien, Viren oder giftigen Substanzen“, erklärt Krasteva-Christ. Wie sie zeigen konnte, übernehmen Bürstenzellen bei der Abwehr dieser unerwünschten Eindringlinge eine wichtige Funktion. „Bürstenzellen besitzen alle Proteine, die in den Geschmacksknospen der Zunge zur Wahrnehmung von Bitterstoffen nötig sind“, sagt die Wissenschaftlerin. Das passt, weil viele schädliche Substanzen und bakterielle Produkte, die der Kommunikation zwischen Bakterien dienen, einen bitteren Geschmack besitzen.

Bürstenzellen „schmecken“ also die Gefahr und setzen dann einen Prozess in Gang, der ein weiteres Eindringen der Schädlinge verhindern soll: Sie schütten den Botenstoff Acetylcholin aus und stimulieren damit Nervenfasern, die zum Gehirn führen. In der Folge verlangsamt der Organismus die Atmung und bremst so das weitere Vordringen der unerwünschten Substanzen. Gleichzeitig steigert die Schleimhaut die Absonderung von Flüssigkeit; winzige Härchen, die sogenannten Cilien, schlagen vermehrt – all das hat zur Folge, dass Krankheitserreger schneller wieder aus der Lunge heraus transportiert werden.

Sogenannte „chemosensorische Zellen“ finden sich nicht nur in den Atemwegen. Gabriela Krasteva-Christ konnte sie auch an weiteren Körpereintrittspforten nachweisen, etwa in der Harnröhre, im Mittelohr oder in der Bindehaut des Auges. Anscheinend handelt es sich dabei um einen grundlegenden Mechanismus, mit dem ein Organismus Schleimhautoberflächen kontrolliert.

Werdegang von Gabriela Krasteva-Christ
Für einen Laien mag der wissenschaftliche Werdegang von Gabriela Krasteva-Christ überraschend aussehen. 1977 in Gabrovo in Bulgarien geboren, nahm sie 1997 das Studium der Tiermedizin an der Thrakischen Universität in Stara Zagora, Bulgarien, auf. 2001 war Krasteva-Christ eine der ersten Stipendiatinnen ihrer Universität, die für zwei Semester ins Ausland wechseln durfte – an die Justus-Liebig-Universität in Gießen. Dorthin ging sie nach ihrem Examen auch wieder zurück: Mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft forschte sie von 2003 bis 2006 im Gießener Graduiertenkolleg „Biologische Grundlagen der vaskulären Medizin“. Für ihre Doktorarbeit bekam sie die Dissertationsauszeichnung der Uni Gießen verliehen.

Eine Tiermedizinerin, die Professorin in der Humanmedizin wird: Ist das nicht etwas ungewöhnlich? „Nein, überhaupt nicht. Das kommt in der Anatomie sogar recht häufig vor“, sagt Gabriela Krasteva-Christ. Im Vergleich zu anderen Naturwissenschaftlern, die ähnliche Wege einschlagen, seien Veterinärmediziner sogar im Vorteil: Sie kennen sich immerhin schon mit der Anatomie von Lebewesen aus, und das sogar über mehrere Gattungen hinweg.

Den Wechsel in die Anatomie und in die Wissenschaft empfindet Gabriela Krasteva-Christ heute als „großes Glück“. Die Nähe zum Menschen sowie zur Klinik und die Zusammenarbeit mit anderen Fächern wie Biochemie oder Physiologie haben es ihr angetan. Außerdem habe sie auf diese Weise das Gefühl, „etwas bewirken zu können“ – mehr jedenfalls im Vergleich zu ihrem ursprünglichen Ziel „Tierärztin“.

Freude am Kontakt zu den Studierenden
Ganz besonders schätzt sie den engen Kontakt zu den Studierenden in der Anatomie. „Wir begleiten die Medizinstudenten über vier Semester hinweg und erleben ihre Veränderung – eben fast noch Schüler und dann irgendwann erfahrene Studenten“, sagt sie. Außerdem seien die meisten Studierenden sehr interessiert: „Die wollen unbedingt Anatomie lernen!“ Ein idealer Zustand für eine Dozentin, die Freude daran hat, Wissen zu vermitteln.

Gabriela Krasteva-Christ forscht nicht nur an Bürstenzellen. Darüber hinaus untersucht sie, wie das Nervensystem die Funktion der Atemwege steuert. Kommt es in diesen Prozessen zu Störungen, können schwerwiegenden Erkrankungen, wie Asthma bronchiale und chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) die Folge sein. Die Anatomin interessiert sich vor allem für die Kommunikation zwischen dem Nervensystem und den Zielzellen – bestimmten Muskelzellen sowie Zellen der Schleimhaut. In dem komplizierten Wechselspiel seien viele Details heute noch nicht verstanden, sagt sie.

Mehrfache Auszeichnungen
Für ihre Arbeiten wurde Gabriela Krasteva-Christ mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt sie den renommierten Polak Jung Investigator Award (2011) der Association for Chemoreception Sciences (USA) und den Wolfgang-Bargmann-Preis der Anatomischen Gesellschaft sowie den Vortragspreis beim „Third International Symposium on Non-neuronal Acetylcholine“ (Groningen, 2011) verliehen. 2013 wurde sie mit dem Von-Behring-Röntgen-Nachwuchspreis für herausragende Leistungen in der Medizin ausgezeichnet.